Asylanträge: Größter Anstieg in Österreich
Unter allen EU-Staaten hatte Österreich im Vorjahr eine Verdreifachung und damit den stärksten Anstieg bei der Zahl der Asylanträge zu verzeichnen. Das geht aus einem vertraulichen „Situationsbericht“ der EU-Kommission hervor, den die Welt am Sonntag thematisiert hat.
Demnach wurden im bevölkerungsreichsten Land Europas, Deutschland, im Vorjahr 226.467 Asylanträge gestellt. Nach Frankreich (154.597) und Spanien (116.952) folgt in absoluten Zahlen bereits Österreich (108.490).
Bei der genannten Zahl handelt es sich um Antragszahlen, also nicht um die Zahl der tatsächlich im jeweiligen Land lebenden, neu registrierten Asylwerber.
Das ist deshalb von Belang, weil Experten davon ausgehen, dass die hierzulande registrierten Asylwerber schon länger unterwegs und zudem auf der „Durchreise“ in andere EU-Länder sind.
Schlusslicht in der erwähnten Kommissionsstatistik ist bezeichnenderweise Ungarn.
Obwohl Ungarn eine EU-Außengrenze hat, wurden hier im ganzen Jahr 2022 gerade einmal 46 Asylanträge gestellt.
Wie ist das möglich? In Ungarn wurde es gesetzlich verboten, im Inland Asylanträge zu stellen. Und damit ist Österreich für aus Ungarn kommende Flüchtende der erste Rechtsstaat, der das Grund- und Menschenrecht auf Asyl auch in der Praxis ernst nimmt.
Kaputtes System
Für Österreichs Innenminister Gerhard Karner ist die Statistik ein weiterer Beleg dafür, „dass das Schengen-System kaputt ist“. Ein funktionierender Schutz der Außengrenze müsse technische Verbesserungen wie rechtliche Anpassungen bringen – und genau darüber wollen er, Karner, und Bundeskanzler Karl Nehammer heute, Montag, in Bulgarien sprechen.
Die beiden Regierungsmitglieder sind in heikler Mission unterwegs, war es doch Karner, der mit seinem Veto im Rat der EU-Innenminister den Beitritt Bulgariens (und auch Rumäniens, Anm.) zum Schengen-Raum vorerst blockiert hat.
Österreich begründete das Veto mit den hohen Asylzahlen sowie den mehr als 100.000 irregulären Grenzübertritten.
40 Prozent der Migranten seien über Bulgarien nach Österreich gelangt, argumentiert das Innenministerium – das hätten Befragungen von Aufgegriffenen ergeben.
Der bulgarische Migrationsforscher Tihomir Bezlov widerspricht. Biometrisch erfasste Fingerabdrücke von Migranten auf der Durchreise würden zeigen, dass es 2022 maximal 37.000 illegale Grenzübertritte nach Bulgarien gegeben habe. „Sich auf Zahlen von registrierten illegalen Migranten zu beziehen, heißt das riesige Dunkelfeld an nicht registrierten Flüchtlingen zu ignorieren“, kontert Gerald Tatzgern, Österreichs oberster Schlepperbekämpfer im Bundeskriminalamt.
Die Beziehung zu Bulgarien ist jedenfalls belastet. Und dem wollen Nehammer und Karner nun begegnen.
Zuerst lud der Bundeskanzler Bulgariens Präsident Rumen Radew zum Neujahrskonzert nach Wien. Heute besuchen Nehammer und Karner mit Radew sowie dem bulgarischen Innenminister Iwan Demerdzhiew die bulgarisch-türkische EU-Außengrenze. Rund 234 der 270 Kilometer langen Grenze sind durch einen Stacheldrahtzaun gesichert. Dieser ist größtenteils einreihig ausgeführt und stelle „kein ernst zu nehmendes Hindernis“ für Schlepper dar, sagt Tatzgern. Das Innenministerium verweist auf Videos, die diesen Eindruck bestätigen. „Die schlechten Zufahrtswege erschweren darüber hinaus die Überwachung und damit das effiziente Vorgehen gegen die Schleppermafia“, so Tatzgern.
„Veto bleibt aufrecht“
Die ÖVP fordert deshalb: Bulgariens Zaun soll erweitert und verstärkt werden – nach dem Vorbild des sechs Meter hohen griechischen Modells. Dafür benötige Sofia EU-Milliarden.
Doch die EU-Kommission weigerte sich, Mitgliedsstaaten Geld für Mauern, Zäune und Stacheldraht zu geben. „Das Schengen-Veto Österreichs bleibt daher aufrecht“, sagte Nehammer am Samstag.
Der Bulgarien-Besuch findet zwei Wochen vor einem EU-Sondergipfel zum Thema Migration statt. Der Migrationsdruck vor Ort ist enorm. Eine Recherche internationaler Medien zeigte im Dezember teils verstörende Bilder. Zu sehen: Migranten, die von bulgarischen Behörden in Baracken tagelang ohne Verpflegung festgehalten wurden. In Einzelfällen sollen sie von Beamten verprügelt und von Polizeihunden gebissen worden sein.
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