Asyl-Mythen im Fakten-Check

Asyl-Mythen im Fakten-Check
Wahr oder falsch? Kriegsopfer oder IS-Krieger im Tarnanzug? Schutzwürdig oder Sozialschmarotzer?

Vor wenigen Wochen waren es 70.000; dann wurde die Zahl der Hilfesuchenden auf 85.000 korrigiert; und spätestens seit Freitag ist klar, dass die Bundesregierung per Jahresende mit rund 100.000 Menschen rechnet, die in Österreich einen Asylantrag stellen.

Allerorten wird über diese Menschen gesprochen: Wie viele kommen noch? Sind ISIS-Terroristen darunter? Und nicht zuletzt beschäftigt die Frage: Welche finanziellen Leistungen bekommen die Geflüchteten? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wie viele Flüchtlinge werden noch nach Österreich kommen?

Das lässt sich nicht beziffern, weil es vor allem davon abhängt, wie lange der Konflikt in Syrien noch andauert. Jüngste Schätzungen gehen von 120.000 Menschen aus, die über Griechenland und den Balkan auf dem Weg nach Mitteleuropa sind. Die Bundesregierung schätzt, dass im Jahr 2015 100.000 Personen in Österreich um Asyl ansuchen werden, die Mehrzahl davon Syrer. Wie sehen die Zahlen im Detail aus? Bis Ende Juli haben 35.604 Menschen erstmals um Asyl angesucht, davon war fast ein Drittel aus Syrien (9945), 8334 Anträge stammten von Afghanen, 4839 von Irakern. Das ist wesentlich mehr als in den vergangenen Jahren (2014 haben insgesamt 28.007 Menschen Asyl beantragt), aber weniger als während der Ungarn-Krise im Jahr 1956. Damals wurden rund 180.000 Menschen aufgenommen.

Asyl-Mythen im Fakten-Check
epa04938489 Austrian police argues with a group of migrants as they enter the Austrian side of the border between Hungary and Austria, near Heiligenkreuz, Austria, 19 September 2015. Some migrants were injured when they were pushed by others and fell over a wall at the checkpoint. EPA/GYORGY VARGA HUNGARY OUT

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Wie viel Geld bekommen Asylwerber in Österreich?

In jenen Fällen, in denen private Quartiergeber, Caritas oder andere Hilfsorganisationen für Unterkunft und Verpflegung sorgen, bekommt ein Asylwerber monatlich ein Taschengeld von 40 Euro. Caritas & Co. erhalten 19 Euro pro Person und Tag überwiesen, davon bezahlen sie Kost und Logis. Ab Oktober steigt der Betrag auf 20,50 Euro; ab 1. Jänner 2016 sind es 21 Euro. Wohnt ein Asylwerber (allein oder mit Familie) in einer Mietwohnung, erhält er für alle Ausgaben (Miete, Essen, Heizung, Strom etc.) laut UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) monatlich maximal 320 Euro. Eine fünfköpfige Familie (Vater, Mutter, drei Kinder) bekommt 910 Euro im Monat zum Leben. Zum Vergleich: Eine fünfköpfige österreichische Familie, die Mindestsicherung sowie Leistungen wie Familienbeihilfe bezieht, bekommt laut UNHCR zumindest 2200 Euro im Monat.

Können unter den Flüchtenden, die kommen, IS-Terroristen sein?

Briten-Premier David Cameron soll im Libanon gewarnt worden sein, dass statistisch unter 100 Flüchtlingen zwei IS-Terroristen sind. Das behauptet der libanesische Bildungsminister. Peter Gridling, Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kann diese Behauptung aber nicht nachvollziehen: "Ich weiß nicht, worauf der libanesische Politiker die Annahme stützt", sagt er zum KURIER. Es gebe in Österreich "keinen dokumentierten Fall", wonach sich ein IS-Kämpfer unter Flüchtlingen befunden hätte. Laut Gridling ist es sei eher unwahrscheinlich, dass sich mögliche Terroristen just unter Menschen mischen, die vor dem IS flüchten – die Terroristen liegen Gefahr, entlarvt zu werden. Im Innenministerium gibt man auch zu bedenken, dass es für den IS unökonomisch sei, Terroristen auf Flüchtlingsrouten nach Westeuropa zu bringen. Die Reise im Flüchtlingstreck sei lang und mitunter lebensgefährlich.

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epa04938617 Migrants take a rest at the railway station of Tovarnik, Eastern Croatia, near the Serbian border, 19 September 2015. Hungary on 15 September sealed the last gap in the barricade along its border with Serbia, closing the passage to thousands of refugees and migrants still waiting on the other side and some groups decided to pass over Croatia. Hungarian Prime Minister Viktor Orban told state radio on 18 September that work began to extend a fence already built along the border with Serbia to the border with Croatia. He added that 1,600 soldiers will be working on the first 42-kilometre segment by the weekend. Hungary's border with Croatia is 355 kilometres long. EPA/ZOLTAN BALOGH HUNGARY OUT

Stimmt das Gerücht, dass sich viele Flüchtlinge als Syrer ausgeben, um die Chancen auf Asyl zu erhöhen?

"Dieses Gerücht ist uns bekannt", sagt Verfassungsschützer Gridling. Um derartiges aufzudecken, würden aber Dokumente auf Fälschungen kontrolliert. Auch Dolmetscher helfen zu eruieren, ob die Angaben der Asylwerber stimmen (passen Sprache und Dialekt zu den Angaben). Genaue Zahlen, wie viele solche Trittbrettfahrer es gibt, fehlen.

Laut Behörden in der Regel ja, weil sie in ihrem Herkunftsland Syrien einer Verfolgung ausgesetzt sind oder waren, und das Camp nur "ein Zwischenaufenthalt war". Jeder Fall wird einzeln geprüft.

Wann und wie werden Qualifikation und Sprachkenntnisse der Asylwerber festgestellt?

Im Asylverfahren selbst wird derlei nicht statistisch erfasst, heißt es im Innenministerium. Was ein anerkannter Flüchtling kann, das muss später das Arbeitsmarktservice eruieren – mit allen Schwierigkeiten. AMS-Berater sind in der Regel nicht auf Job-Werber eingestellt, die Farsi oder Persisch sprechen und deren Qualifikationen – so überhaupt – in Dokumenten und Urkunden stehen, die von Österreichs Bürokratie weder übersetzt noch anerkannt werden. Um feststellen zu können, welche Fähigkeiten etwa ein syrischer Handwerker oder Arzt haben, hat das Wiener AMS vor Kurzem ein Projekt namens "Kompetenzcheck" gestartet. In einem fünfwöchigen Kurs in der Muttersprache wird abgeklärt, was die Flüchtlinge können – Praxistest inklusive, sprich: Handwerker und andere Experten prüfen mit Werkzeug und Fallbeispielen das Können der Job-Werber.

Würde – wie vielfach behauptet – die Arbeitslosigkeit tatsächlich steigen, wenn Asylwerber in Österreich arbeiten dürften?

Ja, davon ist auszugehen. Zwar betonen Arbeitsmarktexperten, dass Flüchtlinge aus dem nahen Osten einen Sozialstaat europäischer Prägung vielfach noch gar nicht kennen und die Aussicht auf Arbeitslosengeld kein Motiv für ihre Reise darstellt. Dessen ungeachtet gehen Wirtschaftsforscher aber davon aus, dass sich eine Arbeitserlaubnis für Asylwerber negativ auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Das Sozialministerium hat im Juli eine Wifo-Studie veröffentlicht, die die Auswirkungen eines erleichterten Arbeitsmarktzuganges für Asylwerber analysiert. Das Ergebnis: Dürften Asylwerber arbeiten, würde sich die Arbeitslosigkeit gering (plus 0,23 %), aber doch erhöhen. Die Studie spricht von 10.000 zusätzlichen Arbeitslosen, wobei die Wissenschafter zum Zeitpunkt der Studien-Erstellung von nur 33.000 Asylanträgen pro Jahr ausgegangen sind – gegenwärtig gehen Schätzungen von einer fast drei Mal so hohen Zahl aus, entsprechend wäre das Ergebnis am Arbeitsmarkt.

Asyl-Mythen im Fakten-Check
epa04938491 Austrian military police tries to hold back a group of migrants to have them checked in order as they storm the Austrian side of the border between Hungary and Austria, near Heiligenkreuz, Austria, 19 September 2015. Some migrants were injured when they were pushed by others and fell over a wall at the checkpoint. EPA/GYORGY VARGA HUNGARY OUT

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