Anton Zeilinger: Ein Nobelpreis für einen Denker ohne Grenzen
Seit vergangenem Dienstag freut sich ganz Österreich über den inzwischen vierten Nobelpreis für Physik für einen Österreicher. Oder zumindest jene Österreicher, die auch nur ein bisschen nachvollziehen können, was der prestigeträchtigste Wissenschaftspreis der Welt eigentlich bedeutet, angesichts eines globalen Wettlaufs um Forscher, Forschungserfolge und Forschungsbudgets.
Da kann der Nobelpreis für „Anton Zeilinger from the University Vienna, Austria“ gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Nobelpreis erfreut sicher alle, die auch nur im Ansatz verstehen, was Anton Zeilinger und seine mit dem Preis geehrten Kollegen eigentlich beforschen: die Quantenphysik, die lange von Forschern nur erahnt wurde, bevor sie auch bewiesen werden konnte. „Ohne die Quantenphysik gäbe es heute keine CD-Spieler, keine Halbleiter, keine Computer oder Laser“, wurde Zeilinger nie müde zu erklären.
Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften begründet die Entscheidung damit, dass Zeilinger, der Franzose Alain Aspect und der US-Amerikaner John Clauser „bahnbrechende Experimente mit verschränkten Quantenzuständen durchgeführt haben, bei denen sich zwei Teilchen wie eine Einheit verhalten, auch wenn sie getrennt sind“. Die Ergebnisse hätten den Weg für neue Technologien geebnet.
Zahlreiche Anwendungen
Die Quantenphysikerin Angie Qarry, die eine Zeit lang im Team von Zeilinger am Wiener „Institute for Quantum Optics and Quantum Information“ (IQOQI) forschte, sieht zahlreiche praktische Anwendungen dieses Forschungsfeldes: „Die Welt hat ja sehr viele soziale und ökonomische Probleme. Weil unsere Kommunikation inzwischen vor allem digital ist, wird die Verschlüsselung immer wichtiger. Und plötzlich haben wir mit der Quantenverschränkung eine fundamentale Theorie, die wir dafür verwenden können. Zahlreiche andere Anwendungen werden möglich sein, das sagt ja auch das Nobelkomitee.“
30 Milliarden Dollar würden derzeit in die Erforschung von Quantencomputern, Quantensensoren, Quantennetzwerken, Quantenkryptografie oder Quantensimulationen investiert. „All diese Anwendungen haben ein riesiges Potenzial, wesentliche Probleme der Menschheit zu lösen. Nahezu magisch ist ja eben diese Verbindung von Grundlagenforschung und Innovationen, damit der Menschheit geholfen werden kann“, glaubt Qarry.
Dabei war es Zeilinger nie wichtig, ob seine Forschung einen praktischen Nutzen hat. Das zeigte sich auch in seinem Bedürfnis, in seiner ersten Stellungnahme nach Bekanntgabe der Nobelpreisträger zuerst seiner Familie zu danken, danach gleich den Österreichern: „Ohne die Unterstützung der Steuerzahler, auch der europäischen, wäre das nie möglich gewesen. Weil ich die Chance hatte, schon von früh an die Dinge zu machen in der Physik, die mich interessiert haben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob das irgendeinen Nutzen hat, im Gegenteil sogar.“
Bei den ersten Experimenten sei er öfters gefragt worden, wozu das gut sein soll: „Und ich konnte ganz stolz sagen: Das ist für nichts gut, das mache ich nur aus Neugierde, weil ich von der Quantenphysik von Anfang an, als ich das erste Mal davon gehört habe, vollkommen begeistert war, wegen der mathematischen Schönheit. Und ich war erstaunt über die Vorhersagen, die diese Theorie treffen kann, für Experimente, die der Intuition vollkommen entgegenlaufen.“
Dass für einzelne Quantenteilchen theoretische Vorhersagen gemacht wurden, die dem gesunden Menschenverstand völlig zuwiderlaufen, hatten bereits Jahrhundertforscher wie Albert Einstein, Erwin Schrödinger oder Werner Heisenberg diskutiert. Anfangs waren das reine Gedankenspielereien.
Konkrete Experimente wurden erst durch den technischen Fortschritt ab den 1970er-Jahren möglich.
Beamen von Information
Aber wofür genau hat Zeilinger den Nobelpreis bekommen? Weltberühmt wurde er, als er mit seinem Team erstmals das Phänomen der Quanten-Teleportation demonstriert hat, das auch als „Beamen“ bekannt wurde: Der Zustand eines Teilchens – eines Lichtphotons – konnte auf ein anderes Teilchen über eine unbestimmte Entfernung übertragen werden. Zuerst nur im Labor, dann auch über eine große Entfernung unter der Donau bei Wien oder über mehr als hundert Kilometer auf den spanischen Kanaren. Diese „Verschränkung“ ist deshalb unheimlich, weil sie mit den klassischen Gesetzen der Physik nicht vereinbar ist, etwa weil die Information schneller als das Licht gebeamt wurde. „Gebeamt“ wurden dabei aber eben nur Informationen und keine Materie oder gar Lebewesen, wie in Science-Fiction-Filmen.
Zeilinger selbst meinte auf die Frage, wie er einem Kind seine Forschung erklären würde: „Wir versuchen zu verstehen, wie sich einzelne Teilchen verhalten, Licht besteht zum Beispiel aus Teilchen. Und wir stellen fest, dass sich diese Teilchen auf ganz verrückte Art und Weise verhalten.“
Unheimlich
Und diese Verrücktheit, das Verstehen von Ereignissen, die gegen alle Erfahrung, Logik und Intuition beobachtet werden, die schon Einstein als unheimlich („spooky“) bezeichnete, ist sicher ein wesentlicher Faktor, warum eben dieser Österreicher mit den höchsten Ehren ausgezeichnet wird. Was auch seinen Rat an Studienanfänger erklärt: „Mach das, was dich interessiert, nicht, was deine Großeltern oder sonst wer sagen. Versuche, die vielen Regeln, die es gibt, möglichst zu ignorieren.“
„Nur eine Frage der Zeit“
Ist der Preis für die Wissenschafts-Community überraschend? „Das denke ich nicht“, sagt Quantenforscherin Qarry. „Es war nur eine Frage der Zeit, wann diese Forscher den Preis bekommen. Ich denke, sie wussten selbst, dass sie ihn für ihre außergewöhnliche Forschung auch verdienen.“
Das wird man Zeilinger wohl im Gesicht ansehen können, wenn er am 10. Dezember im Rathaus von Stockholm seinen Preis von König Carl XVI. Gustaf überreicht bekommt.
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