Merkel und Kurz: Beziehungsstatus kompliziert

Merkel und Kurz: Beziehungsstatus kompliziert
Die beiden Regierungschefs hatten bisher kein gutes Verhältnis. Künftig werden sie aber miteinander auskommen müssen.

Wenn man eines über die deutsche Kanzlerin sicher weiß, dann ist es das: Sie hat ein Gedächtnis wie ein Elefant, vergisst also nie etwas.

Das war bei vielen ihrer Weggefährten so, die in Ungnade gefallen waren und sich plötzlich im politischen Ausgedinge wiederfanden; und das wird bei Sebastian Kurz nicht viel anders sein: Dass die beiden während der Flüchtlingskrise über ihre Diplomaten heftige Gefechte austrugen, dass er sie auch öffentlich lautstark kritisierte, sie in den deutschen Medien vorführte – so zumindest wurde das im Kanzleramt empfunden -, hat sie ihm nicht vergessen, sagt ein CDU-Kenner. Ebenso wenig goutiert sie die Regierungsbeteiligung der FPÖ – eine extrem rechte Partei in der Regierung gilt als No-Go in Deutschland.

Ob sie ihn das heute, bei seinem ersten Besuch in Berlin auch spüren lassen wird?

Merkel und Kurz: Beziehungsstatus kompliziert

Ziemlich sicher nicht. Denn die Lage hat sich grundlegend geändert: Kurz hat einen Wahlerfolg im Rücken, wie Merkel ihn sich auch gewünscht hätte, und er hat im Gegensatz zu ihr eine zwar im Ausland kritisch beäugte, aber immerhin stabile Koalition zustande gebracht. Merkel hingegen sitzt lange nicht mehr so sicher im Sattel wie sie das noch vor einiger Zeit getan hat: Ihre CDU weiß erstmals seit ihrem Amtsantritt selbst nicht mehr, ob sie mit dieser Kanzlerin weiterregieren will.

Neue Rollenverteilung

Kurz begegnet Merkel damit heute nicht nur erstmals auf Augenhöhe, sein Besuch hat für sie doppelte Relevanz: Er gilt als politisches Gegenmodell zum System Merkel – zumindest unter den Konservativen, die sich schon länger nach einem rechteren Kurs der Union sehen. Dass Merkel-Intimfeind Jens Spahn, CDU-Finanzstaatsekretär mit großen Ambitionen, bei Kurz‘ Wahlsieg anwesend war und das lautstark in den sozialen Netzwerken ventilierte, war eine Spitze gegen die Chefin; und dass die CSU den jungen Kanzler hofiert, als wäre er ein geborener Bayer, ist ohnehin pure Absicht. Auch die deutschen Medien lassen sie das spüren: Allein der Spiegel sorgt für kritische Töne, indem er „Kurz sucht Anschluss in Berlin“ schreibt; vom Springer-Verlag wird er hingegen mit einem prominent besetzen Abendessen gefeiert, Sandra Maischberger widmet ihm eine ganze Stunde TV-Sendezeit.

Novize versus Methusalem

Dass Merkel dennoch gelassen bleibt, im Vorfeld sogar kommunizieren ließ, wie sehr sie sich auf den Besuch des halb so alten Kanzler-Novizen freue, hat aber nicht nur mit ihren internen Kritikern zu tun. Der eigentliche Grund ist ihr altbewährter Pragmatismus: Merkel ist der Methusalem der EU-Regierungschefs; sie gilt als schmerzfrei, was das Kommen und Gehen ihrer Partner in den anderen Ländern angeht. Ihr geht es nur darum, ihre eigenen Projekte durchzusetzen – und was die Kräfteverhältnisse in der EU angeht, so Berlin noch immer ein Schwergewicht.

Insofern ist ihre Freundlichkeit als Bemühen zu verstehen, Kurz in EU-Fragen auf ihre Seite zu ziehen: Dass er nach Amtsantritt nicht – wie bisher üblich – nach Berlin eilte, sondern zunächst nach Brüssel und dann nach Paris, war vielleicht als Spitze zu verstehen, wurde in Deutschland aber nicht als Affront wahrgenommen – man sah es als Ansage pro Europa, und das kann Merkel angesichts der FPÖ-Regierungsbeteiligung nur gefallen.

Schulterschluss

Dazu kommt, dass Österreich und Deutschland auf EU-Ebene tatsächlich viele gemeinsame Interessen haben – und dass Kurz durchaus von einer starken Merkel an seiner Seite profitieren kann: Auch wenn nach außen hin immer von einer Nähe Österreichs zu den Visegrad-Staaten die Rede ist, so sind sich die beiden Nettozahler in ihren Wünschen deutlich ähnlicher als Wien und die Oststaaten, die ja Nettoempfänger sind. Da Kurz bereits festgehalten hat, dass man nach dem Brexit nicht willens ist, mehr nach Brüssel zu zahlen als bisher, wird er gewichtige Unterstützer brauchen.

Eine solche könnte Merkel sein - Elefantengedächtnis hin oder her: Auch wenn aus ihnen keine besten Freunde mehr werden, in puncto Pragmatismus sind sich beide nämlich ähnlicher als man glaubt – und als ihnen selbst vielleicht bewusst ist.

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Austria's Chancellor Sebastian Kurz arrives at the Chancellery in Berlin, Germany, January 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch
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German Chancellor Angela Merkel and Austria's Chancellor Sebastian Kurz review the Guard of Honour at the Chancellery in Berlin, Germany, January 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch
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German Chancellor Angela Merkel and Austria's Chancellor Sebastian Kurz review the Guard of Honour at the Chancellery in Berlin, Germany, January 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch
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German Chancellor Angela Merkel welcomes Austria's Chancellor Sebastian Kurz at the Chancellery in Berlin, Germany, January 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch
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German Chancellor Angela Merkel (R) welcomes Austria's new Chancellor Sebastian Kurz at the Chancellery in Berlin on January 17, 2018. / AFP PHOTO / John MACDOUGALL
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German Chancellor Angela Merkel (R) and Austria's new Chancellor Sebastian Kurz step on the podium during a welcoming ceremony at the Chancellery in Berlin on January 17, 2018. / AFP PHOTO / Odd ANDERSEN
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German Chancellor Angela Merkel (L) welcomes Austria's new Chancellor Sebastian Kurz at the Chancellery in Berlin on January 17, 2018. / AFP PHOTO / John MACDOUGALL
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German Chancellor Angela Merkel talks with Austria's Chancellor Sebastian Kurz as they arrive to review the Guard of Honour review the at the Chancellery in Berlin, Germany, January 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch

Deutschland mache in der Flüchtlings- und Migrationspolitik einen Schwenk in die richtige Richtung. Das konstatierte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch zu Beginn seines Besuchs in Berlin gegenüber dem KURIER. Vor seinem Treffen mit Amtskollegin Angela Merkel (CDU) erinnerte Kurz daran, dass es diesbezüglich in der Vergangenheit unterschiedliche Positionen gegeben habe.

Er sei seiner Linie, dass nur ein effektiver Schutz der EU-Außengrenzen eine Bewältigung des Flüchtlings-und Migrantenstroms gewährleistet, immer treu geblieben, betonte der 31-jährige Regierungschef. In den Sondierungsgesprächen zur Bildung einer neuen deutschen Regierung zwischen Unionsparteien und Sozialdemokraten (SPD) seien nun aber auch Obergrenzen und ein Bekenntnis zum Schutz der Außengrenzen festgehalten.

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German Chancellor Angela Merkel and Austria's new Chancellor Sebastian Kurz (front, on the red carpet) inspect a military honor guard at the Chancellery in Berlin on January 17, 2018. / AFP PHOTO / Odd ANDERSEN

"Das ist ein Schritt in die richtige Richtung", fühlte sich Kurz bestätigt. In vielen europäischen Staaten sei die Flüchtlingsproblematik anfangs unterschätzt worden. Es habe aber dann Korrekturen gegeben. Dass der Zustrom an Migranten mittlerweile nachgelassen habe, bedeute aber nicht, dass man sich "zurücklehnen" könne. "Es sind nach wie vor die Schlepper, die entscheiden, wer nach Europa kommt. Das Problem ist nicht gelöst." Österreich wolle bei der Lösung dieses Problems weiterhin der "Antreiber" in Europa sein.

Unterschiedliche Ansichten gebe es auch beim europäischen Finanzrahmen, räumte Kurz im Gespräch mit Journalisten ein. Im Zusammenhang mit dem Brexit sei es zu simpel, zu sagen, "dass die Nettozahler" mehr bezahlen sollen. Deutschland, das bereits jetzt auch prozentuell mehr von seinem BIP beiträgt als Österreich (0,4 bzw. 0,23 Prozent im Vorjahr) hatte sich dazu bereit erklärt. Kurz lehnt dies ab.

"Der einfache Weg ist nicht immer der richtige", so der schwarz-blaue Regierungschef. Es müsse auf europäischer Ebene eben sorgsamer mit Steuergeldern umgegangen werden. Zudem müssten Internetriesen wir Google oder Facebook mittels europäischer Gesetzgebung gezwungen werden, dort Steuern zu zahlen, "wo sie ihre Gewinne erwirtschaften."

Mit Merkel, mit der er auch bisher bereits konstruktive Gespräche geführt habe, wolle er auch seine bereits mehrfach erhobene Forderung nach einer "subsisidäreren Union" erörtern, so Kurz. Die EU müsse in großen Fragen wie der Außen- oder Verteidigungspolitik stark sein, aber nicht beispielsweise Kleinunternehmer durch übertriebene Reglementierungen behindern. Da müsse sich die EU in jenen Bereichen zurücknehmen, in denen die einzelnen Mitgliedsstaaten "besser und unbürokratischer" entscheiden könnten.

Kurz' Tagesprogramm

  • 10:20 Ankunft in Berlin
  • 10:40 Treffen an der Österreichischen Botschaft
  • 12:00 Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel
  • 13:15-13:45 Gemeinsame Pressekonferenz
  • 14:15-14:45: Arbeitsgespräch mit Bundestags-Präsident Wolfgang Schäuble
  • 16:30-18:00: Kurz bei Sandra Maischberger im ARD-Studio (Ausstrahlung um 23.00)
  • 19.30 Abendessen auf Einladung des Axel-Springer-Verlags
  • Donnerstag: Arbeitsgespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier - 11 Uhr Abflug nach Wien.

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