Alois Stöger nimmt Abschied: "Am Rummelplatz kann man kein Buch lesen"
"Es wü ned." So sehr Alois Stöger, Mühlviertler und gelernter Maschinenschlosser, auch an den Schrauben zieht und zerrt und hebelt – das Schild am Türrahmen, auf dem sein Name steht, will sich nicht lösen.
Stöger selbst muss. Seine Zeit als Politiker endet heute, Donnerstag, mit der konstituierenden Sitzung des Nationalrats. Es war eine lange, eine abwechslungsreiche Zeit.
2008 kam er in die rot-schwarze Regierung von Werner Faymann (SPÖ) und war in den folgenden zehn Jahren in verschiedenen Konstellationen Minister für „eh alles“. Gesundheit, Familie, Jugend, Verkehr, Innovation, Technologie, Arbeit, Soziales, Konsumentenschutz und Frauen – Stöger kann die Ressorts alle noch aufzählen, inklusive Zeiträume.
Welche seine Lieblingsressorts waren? „Gesundheit und Soziales“, sagt Stöger – emotionale Themen, politisch schwierig.
Aufzählen kann er auch Dinge, die er als Erfolge verbucht: die Finanzierung der Krankenversicherung, die gratis Zahnspange, die elektronische Gesundheitsakte (Elga), die Bevorzugung von Frauen bei der Vergabe der Facharztstellen für Gynäkologie und die „Aktion 20.000“ für Langzeitarbeitslose, die Türkis-Blau 2017 sofort abgeschafft hat, da waren die Sessel der Ex-SPÖ-Minister noch warm.
Auf seine Regierungszeit ist er stolz. Wobei der Oberösterreicher nie einer war, der sich in den Vordergrund gedrängt hätte. Ruhige, solide Arbeit, dafür steht der Name Stöger. Etwas, das er auch seinen Parteifreunden empfiehlt.
Zwang, zu provozieren
Apropos. Dass PR-Berater Rudi Fußi den amtierenden SPÖ-Chef Andreas Babler desavouiert, um selbst SPÖ-Chef zu werden, nimmt Stöger (betont) gelassen hin. Was ihn ärgert, ist mehr die Tatsache, wie intensiv manche Medien über Fußi berichten. „Da kann ja jeder daherkommen“, sagt er und entschuldigt sich umgehend. „Jetzt bin ich böse.“
Überhaupt ist der Ex-Minister unglücklich darüber, wie sich die mediale Welt entwickelt habe. „In dieser Geschwindigkeit hat keiner mehr Zeit zum Denken. Je dümmer etwas ist, umso leichter kommt es in den Medien unter. Das zwingt jeden Politiker, zu provozieren.“ Das Wesen der Demokratie sei der Kompromiss, der Ausgleich in der Gesellschaft.
"So kann man nicht arbeiten"
Den traut Stöger – angesprochen auf eine künftige Regierung – der FPÖ nicht zu. Eine Anekdote aus seiner Zeit als Sozialminister: „Ich habe alle Sozialsprecher aus dem Parlament zu einem Gespräch eingeladen, um zu erfahren, was ihnen wichtig ist, was wir gemeinsam machen können. Mit jedem bin ich eine Stunde beisammen gesessen. Nur mit Herbert Kickl hat sich kein Termin finden lassen. Er wollte nicht.“
Auch jetzt merke man am FPÖ-Chef, der zwar Wahlsieger ist, aber niemanden für eine Koalition findet: „Er will sich nicht auf eine sachliche Auseinandersetzung einlassen. So kann man nicht arbeiten.“
Noch einmal nimmt Stöger die Medien in die Pflicht („Ich bin schon wieder böse“): Er wünscht sich eine „qualitativ hochwertige Auseinandersetzung“, nicht die „schnelle, laute Meldung“. Denn: „Am Rummelplatz kann man kein Buch lesen.“
Der billigere Partner
Was die künftige Regierung betrifft, die ÖVP-Chef Karl Nehammer jetzt bilden soll, traut sich Stöger keine Prognose abzugeben: „Wie ich die ÖVP kenne, wird sie den billigeren Partner nehmen.“ Er schließt nicht aus, dass es – trotz geplanter Verhandlungen mit seiner Partei, der SPÖ – doch noch die FPÖ wird.
Seine eigene Zeit in der Politik geht nun zu Ende – im 49. Jahr seiner Berufstätigkeit. „Die SPÖ hat immer gesagt, 45 Jahre sind genug. Ich nehme sie beim Wort“, sagt der 64-Jährige, der sich nun in die Pension begibt.
Sein Türschild ist mittlerweile abgelöst, die vier Kisten, die ihm seine Frau erlaubt hat, mit nach Hause zu nehmen, sind gepackt.
Jenen, die jetzt eine neue Legislaturperiode beginnen, gibt er Folgendes mit: „Die Macht ist nur geliehen, man muss sie jederzeit zurückgeben können. Meinen Mitarbeitern habe ich immer gesagt: Wenn es einen Akt gibt, den ihr nicht in der Zeitung sehen wollt, dann macht ihn nicht.“
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