1.200 Spitalsjobs wackeln in Wien: SPÖ fordert Hilfspaket für Gesundheitswesen

1.200 Spitalsjobs wackeln in Wien: SPÖ fordert Hilfspaket für Gesundheitswesen
Bund muss Budgetloch der Krankenkassen füllen. Wiener Stadtrat Hacker fordert sofortige Gespräche mit Bundesregierung. ÖVP-Funktionäre kritisieren "Panikmache".

Die SPÖ warnt vor einem corona-bedingten Budgetloch in der Gesundheitsversorgung - und erneuert ihren Ruf nach einem Hilfspaket. 

Dieses Budgetloch ergibt sich, wie Parteichefin Pamela Rendi-Wagner erklärt, durch die Einnahmenverluste der Wirtschaft. 

Die Finanzierung der Sozialversicherung speist sich aus arbeitsbezogenen Beiträgen. Jetzt, da die Arbeitslosigkeit hoch ist, und die Wirtschaft wohl auch in den kommenden Monaten "nicht wirklich anspringen wird", erklärt Hacker, werde das Budgetloch im Bereich der Versicherungen immer größer. 

SPÖ fürchtet Selbstbehalte, Beitragserhöhungen und Privatisierungen.

Die SPÖ fordert deshalb eine Ausfallshaftung des Bundes - entsprechende Anträge habe die SPÖ bereits im Parlament eingebracht, nach der Sommerpause ist ein weiterer geplant. 

Milliarden-Loch im Gesundheitsfonds

In den nächsten Monaten bis zu einer Milliarde Euro fehlen werden, rechnet Rendi-Wagner vor. Das betrifft dann ganz konkret die Spitäler, die in die Zuständigkeit der Länder fallen. 

Hier hakt der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ein: Alleine in Wien seien durch die Einnahmenausfälle 1.200 Jobs in den Spitälern bedroht. Das entspreche rund 200 Ärzten und 600 Krankenpflegern. Man müsste dafür etwa die Klinik Landstraße halbieren oder drei Ordensspitäler schließen.

Im niedergelassenen Bereich könnten die Kassenverträge von 700 bis 800 Ärzten nicht mehr bezahlt werden. 

Allein in Wien brauche es für 2020 rund 500 Mio. Euro vom Bund, um den niedergelassenen Bereich und die Spitäler am Laufen zu halten. 

"Das ist kein Schreckgespenst", betont Hacker. Wenn kein Geld in die Fonds der Spitäler fließt, hätten diese kein Geld, um ihre Mitarbeiter zu bezahlen. "Dann werden die kaufmännischen Pflichten des Geschäftsführers schlagend. Das ist eine klare Sache."

"Schaun ma mal, mach ma schon, ist zu wenig"

Vizekanzler Werner Kogler hatte im ORF-Sommergespräch am Montag bereits angekündigt, dass sich die Regierung um dieses Problem annehmen werde. Ein Interview sei aber keine verbindliche Sache, sagt Hacker: "Schaun ma mal, mach ma schon, ist zu wenig. Es braucht klare Verträge, die nun verhandelt und abgeschlossen werden müssen."

Die Gesundheitslandesräte hätten auf die Problematik bereits im Mai aufmerksam gemacht und einen einstimmigen Beschluss gefällt, dass die Gespräche mit dem Bund über ein Hilfspaket sofort beginnen müssen. Bis dato sei aber nichts passiert, sagt Hacker. 

Die Zeit dränge: Noch heuer, im laufenden Geschäftsjahr, müssten entsprechende Verträge besiegelt werden. 

Das Gesundheitssystem war in der Corona-Krise am stärksten gefordert und habe einen "Image-Schub" erfahren. Diese Leistungen müssten nun auch honoriert werden. 

ÖVP gegen "Panikmache"

Die Reaktion der ÖVP folgte prompt: Deren Kassenfunktionär Peter Lehner warnt vor "dem Schüren unbegründeter Ängste durch die Opposition". Leistungen und Liquidität der Sozialversicherung seien gesichert, betonte er anlässlich der Rufe der SPÖ nach einem Rettungspaket des Bundes für das Gesundheitswesen. Auch der ÖVP-Wirtschaftsbund warnte vor "Panikmache".

"Die Österreicher können sich auf ihre Sozialversicherung verlassen, und das Gesundheitssystem ist stabil und zuverlässig", versicherte Lehner, Chef der Selbstständigen-Kasse SVS und aktuell Vizevorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, in einer Aussendung.

"Die Stabilisierung und langsame Erholung der österreichischen Wirtschaft wird sich auch in der Stabilisierung der Einnahmensituation der Sozialversicherungsträger widerspiegeln."

Der laute Ruf nach Geld ist für ihn keine passende und konstruktive Vorgehensweise ist. "Es wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis wir eine echte Corona-Kostenwahrheit in der Sozialversicherung vorliegen haben. Erst dann werden wir sehen, wie groß das Corona-Budgetloch ist und ob und wie viel Geld die Träger vom Bund fordern müssen. Erst mit einer seriösen Kostenaufstellung werden wir die konkreten Gespräche mit den zuständigen Ministern führen", unterstrich Lehner.

Auch Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger kritisierte die Sozialdemokraten. "Es gibt noch keine zuverlässige Corona-Kostenwahrheit in den Sozialversicherungsträgern. Aufgrund von unsicheren Prognosen im Gesundheitsbereich weitere Ängste zu schüren, ist ein neuer Tiefpunkt der SPÖ und einer staatstragenden Partei nicht würdig. Wenn sich die Wirtschaft wieder rasch erholt, werden sich auch die Einnahmen der Sozialversicherungsträger wieder stabilisieren", meinte er in einer Aussendung.

Warnung vor "krank sparen"

Die SPÖ sieht das ganz offensichtlich anders - und warnt vor einem Sparkurs im Nachklang der Corona-Krise. Wenn nicht gegengesteuert werde, drohten massive Leistungskürzungen, Selbstbehalte, Beitragserhöhungen und Privatisierungen, zu denen die SPÖ ein klares "Nein" sage. 

Das Gesundheitssystem sei von konservativen und neoliberalen Kräften jahrzehntelang schlecht geredet worden, auch die angeblich zu hohe Ärztedichte sei diskutiert und Kürzungen angeregt worden, kritisiert Rendi-Wagner. "Jetzt, in dieser Coronakrise, sind wir um jedes Spitalsbett froh." 

In Österreich gebe es 29 Intensiv-Betten pro 100.000 Einwohner, man liege mit dieser Zahl hinter Deutschland mit 38 Intensiv-Betten und damit in Europa an zweiter Stelle. 

In Italien liegt sie bei 8,6, in Spanien bei 9,7 und in Großbritannien bei 10,5. "In Ländern, die sehr hohe Sterbezahlen aufweisen, wurden die Gesundheitssysteme im wahrsten Sinne krank gespart", sagt Rendi-Wagner. Dort, wo es sozialdemokratische Regierungen gibt, sei es hingegen gelungen, die Systeme zu erhalten, so die ehemalige Gesundheitsministerin. 

Um diesen Erhalt gehe es auch in den kommenden Monaten. "Corona ist noch nicht vorbei". 

SPÖ-Chefin rechnet mit "Verteilungskampf" bei Impfstoff

Von Journalisten zum Thema Impfen gefragt, bleibt Rendi-Wagner, frühere Ärztin, zurückhaltend: "Es gibt noch keinen Impfstoff, der in der abschließenden dritten Phase ist. Es sind noch viele Fragen offen."

Und selbst wenn es einen zugelassenen Impfstoff gibt, sei die Produktion einer ausreichenden Menge die nächste große Herausforderung. Jedes Land weltweit sei betroffen, jedes Land wird den Impfstoff haben wollen. Die SPÖ-Chefin rechnet mit einem Verteilungskampf. 

Auch die Frage nach einer Impfpflicht stelle sich noch nicht. Rendi-Wagner sagt, sie sei "prinzipiell nicht für eine Impfpflicht". Das Vorgehen müsse auch verhältnismäßig sein. In der Debatte warnt sie die eine Seite davor, "Schattenboxen zu betreiben", und die andere, "die Hoffnungen zu hoch zu schrauben". 

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