Kern am 1. Mai: Regierung will den 8-Stunden-Tag "schreddern"
Der traditionelle Maiaufmarsch der SPÖ ist in Wien über die Bühne gegangen - geprägt vom nahen Abschied von Bürgermeister Michael Häupl. Schon ab den Morgenstunden zogen die einzelnen Delegationen aus den Bezirken in Richtung Rathausplatz, wo vom späten Vormittag bis Mittag die Schlusskundgebung stattfand. Wohin die Reise inhaltlich ging, war schon auf den Transparenten und Schildern deutlich geworden: Die Kritik an der Bundesregierung stand im Mittelpunkt.
Laut SPÖ sind am 1. Mai 120.000 Menschen in Wien aufmarschiert - so viel wie seit einigen Jahren nicht mehr, wie es hieß. Die einzelnen Delegationen hätten bis zu 15 Prozent mehr Teilnehmer verzeichnet.
SPÖ-Chef Christian Kern versprach den Genossen, das "offene Gesellschaftsmodell" - für das die SPÖ stehe - mit allen Zähnen verteidigen zu wollen. Denn es sei die Sozialdemokratie, die von sich behaupten könne, 100 Jahre lang Demokratie und Rechtsstaat verteidigt zu haben. Letztere seien "zerbrechliche Wesen". "Sozialdemokratische Ideen sind immer der Kitt in der Gesellschaft gewesen", zeigte sich Kern überzeugt, der im Vorjahr bei seinem ersten 1.-Mai-Auftritt noch Bundeskanzler war.
Kern: Regierung droht Kassen zu "verschrotten"
Kern wetterte gegen "Geschenke an Großkonzerne" und warnte davor, dass künftig beim Besuch einer Spitalsambulanz eine Kreditkarte statt einer E-Card nötig sei. Außerdem werde Schulschwänzen künftig stärker bestraft als Großsozialbetrug, kritisierte er. Die Regierung wolle zudem den 8-Stunden-Tag "schreddern" und die Sozialversicherung in ihrer derzeitigen Form "verschrotten".
Zudem werde in der Flüchtlingskrise ein Jude (der US-Investor George Soros, Anm.) von der FPÖ als Drahtzieher bezeichnet: "Wie schändlich ist das?" Antisemitismus sei immer der erste Zivilisationsbruch: "Ein Angriff auf unsere jüdischen Mitbürger ist ein Angriff auf uns alle." Ob dieser von rechtsradikaler oder islamistischer Seite komme, sei dabei egal.
Scharfe Kritik an FPÖ
"Ich kann versprechen, dass wir das Bündnis mit all jenen suchen, für die (Ungarns Premier, Anm.) Viktor Orban kein politisches Vorbild ist", gelobte der SPÖ-Bundesparteivorsitzende. Dankesworte gab es hingegen für das Mauthausen-Komitee, das keine FPÖ-Politiker bei den Feiern zur Befreiung des Konzentrationslagers wünscht.
"Wir erleben das permanent: Sie stellen sich ganz sensibel, zart besaitet in eine Ecke und beschweren sich darüber, dass sie nicht eingeladen worden sind", sagte Kern über die Freiheitlichen. Tatsächlich hätten sie sich "selbst ausgeladen". Die Freiheitlichen würden etwa rechtsradikale Zeitungen finanzieren, die KZ-Insassen als Landplage bezeichnen.
Appelle auch an eigene Partei
Mit "Übernehmt nicht die Inhalte von Schwarz-Blau" wurde von der Basis beim Aufmarsch aber auch an die eigene Parteispitze appelliert, selbst Themenschwerpunkte zu setzen. Und die mittels Transparent geäußerte Feststellung, dass die SPÖ am 1. Mai "eine Partei" sei, war wohl als Hinweis auf die jüngsten Querelen in der Wiener SPÖ gedacht.
Auf Transparenten wurde gegen Studiengebühren und gegen eine "Zerschlagung der AUVA" (Unfallversicherung, Anm.) Stimmung gemacht. Das offizielle Motto der Veranstaltung lautete "Zeit für mehr Solidarität". Spannend gestaltete sich heuer die Rednerliste. Der Auftakt der Ansprachen war dem neuen Wiener Parteichef Michael Ludwig überlassen. Anschließend ergriffen die Wiener SPÖ-Frauenvorsitzende Renate Brauner, die neue Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl und eben Kern das Wort.
Gegen "Wien-Bashing"
Der kommende Wiener Bürgermeister Ludwig sagte: "Es braucht mehr Sozialdemokratie und mehr gelebte Solidarität." Denn es stünden wohl Zeiten bevor, wo man enger zusammenrücken müsse. "Unsere Stadt soll die lebenswerteste Metropole bleiben", sagte Ludwig auch. Gleichzeitig sei der Ausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nötiger denn je: "Das fördert den gemeinsamen Wohlstand. Die Sozialpartnerschaft hat sich bewährt." Die Bundesregierung fördere nun jedoch die Interessen der Mächtigen und der Spender.
"Wir werden uns wehren, wenn es gegen die Interessen der Wiener Bevölkerung geht", beteuerte Ludwig: "Lasst unser Wien in Ruhe!"Auch die neue AK-Chefin Anderl ging mit den Plänen der Bundesregierung hart ins Gericht. Bevor sie sich deutlich gegen "12-Stunden-Tag" und "60-Stunden-Woche" aussprach, kritisierte sie das "Wien-Bashing der Bundesregierung", gegen das sie sich verwehre.
"Sehr kalter Wind" in Österreich
Mit dem Auftritt des Bundesparteichefs war heuer noch nicht Schluss. Denn zum Finale ergriff der scheidende Bürgermeister Häupl, noch bis zum 24. Mai im Amt, das Wort. Den Chefposten in der Wiener SPÖ hatte er bereits im Jänner an Ludwig übergeben.
Abschlussredner Häupl wurde von Kern so angekündigt: "Du bis eine Legende und zwar schon zu Lebzeiten." Der Angesprochene bedankte sich für die Huldigung, wobei er befand: "Ich habe mir gedacht, ich stehe jetzt knapp vor der sozialdemokratischen Seligsprechung." Die allgemeine politische Situation beschrieb er mit Blick auf Kanzler und Bundesregierung so: "Es weht ein sehr kalter Wind."
"Zugabe"-Rufe für Häupl
Er selbst übergebe in drei Wochen zwar die Funktion des Wiener Bürgermeisters. Häupl kündigte aber an, sich auch nach seinem Rücktritt nicht völlig zurückzuziehen. Er werde weiterhin das Wort in politischen Fragen ergreifen, ohne dabei den "Balkonmuppet" zu spielen und seinem Nachfolger pausenlos Ratschläge zu erteilen. Häupl sagte, er werde sich aber weiterhin für seine Prinzipien einsetzen.
Am Ende gab es unter den Genossen "Zugabe"-Rufe für den scheidenden Bürgermeister. Häupl schritt daraufhin noch einmal zum Mikrofon und sagte lakonisch: "Ich bin kein Kabarettist, auch wenn's nicht immer so ausschaut."
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