Helle Aufregung, Gerüchte über die Aktivierung des NATO-Bündnisfalles, die Armee in Alarmbereitschaft. Wie angespannt die polnische Regierung die Situation in der Ukraine und Belarus verfolgt, wurde in der Nacht auf den 16. November vergangenen Jahres deutlich, als eine S-300-Rakete auf polnischem Gebiet einschlug und zwei Zivilisten tötete. Erst Tage später ruderte die Regierung in Warschau zurück – bei der Rakete habe es sich „aller Voraussicht nach“ um eine ukrainische und keine russische gehandelt.
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Die Situation beruhigte sich einigermaßen, das Misstrauen Warschaus gegenüber Minsk und Moskau blieb – und flammte am Dienstag erneut auf: Zwei belarussische Helikopter seien in den polnischen Luftraum eingedrungen, die Armee sei alarmiert, Truppen würden an die Grenze verlegt, auch polnische Kampfhubschrauber. Erst später wurde klar, die belarussischen Behörden hatten Polen bereits vorinformiert, dass der Helikopterflug entlang der Grenze geplant sei.
Ohne Zweifel ist Warschau hochnervös, seit die Söldnergruppe Wagner wenige Kilometer von der polnisch-belarussischen Grenze entfernt ein Lager aufgeschlagen hat. Spätestens seit dem Putschversuch des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschins ist klar, dass den Wagner-Kämpfern vieles zuzutrauen ist.
"Wollen Polen destabilisieren"
Gleichzeitig findet in Polen Wahlkampf statt – und wie es scheint, gerät das Thema der Grenzsicherheit in den Fokus der Parteien: „Sie werden wahrscheinlich als belarussische Grenzschutzbeamte getarnt sein und illegalen Einwanderern helfen, auf polnisches Hoheitsgebiet vorzudringen und Polen zu destabilisieren“, warnte Regierungschef Mateusz Morawiecki. Die Lage sei „gefährlicher“ geworden.
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In den Monaten vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte Belarus damit begonnen, Flüchtlinge und Migranten an die Grenze zu Polen zu bringen und dort Chaos auszulösen – als Reaktion darauf baute Polen einen langen Grenzzaun, verstärkte seine Präsenz an der Grenze. Im Juli sollen 3.800 versucht haben, nach Polen zu gelangen, seit Jahresbeginn seien es mehr als 16.000 gewesen. Die Besorgnis darüber, dass Flüchtlinge einmal mehr als Waffe eingesetzt werden, scheint also nicht unbegründet. Dennoch, so sorgen sich Sicherheitsexperten, solle das Thema nicht als Wahlkampfthema missbraucht werden – dafür sei die Situation zu ernst. Einigkeit sei gefordert.
Dass es zu einem konventionellen Angriff auf Polen kommen könnte, daran glauben die wenigsten. Das NATO-Mitglied rüstet massiv auf, hat aber bereits in den vergangenen Jahren seine Verteidigungspolitik stark in den Fokus gerückt. Bis 2035 will man die größte Streitmacht der EU stellen – dazu wird massiv in Kampfpanzer, Kampfjets und anderes schweres Gerät investiert. Gleichzeitig wird die NATO-Ostflanke ohnehin verstärkt. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Risiko für Provokationen und Aktionen im Bereich der hybriden Kriegsführung ausgeschlossen sind.
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