Zwischen Fanaten und Rechten: Katalonien wählt neue Regierung
aus Madrid von Maren Häussemann
In Katalonien sind Wahlen nicht einfach nur eine demokratische Option. Wer wen wählt, wofür wer steht, daran hängen Freundschaften, Arbeitsplätze, Beziehungen in Familien. Seit dem letzten Versuch der Separatisten, verfassungswidrig die Unabhängigkeit von Spanien zu wählen, haben sich die Fronten verhärtet.
Dreieinhalb Jahre danach wird heute, Sonntag, eine neue Regionalregierung gewählt sowie die Nachfolge des Regionalregierungschefs Quim Torra, wegen „Ungehorsams“ des Amts enthoben, und des früheren Präsidenten der Autonomieregierung Carles Puigdemont, der sich im Exil in Brüssel befindet.
Beide haben sich für die Unabhängigkeit ihrer Region im Nordosten der iberischen Halbinsel eingesetzt. Mit ihrer Führung sind immer mehr katalanische Flaggen mit vier roten Streifen auf gelbem Untergrund an den Balkonen aufgetaucht. Und mit ihrer Abstrafung hat sich die Wahrnehmung des spanischen Staates in vielen Köpfen weiter verschlechtert. In Katalonien treffen zwei Ansichten aufeinander, die gefüttert von selektiver Geschichtserzählung, Medienaufmerksamkeit und politischen Streitigkeiten kaum mehr versöhnbar scheinen.
„Ich bin mit der Geschichte aufgewachsen, dass Katalonien ein eigenständiger Staat war, der von Spanien erobert wurde“, erzählt der 24-jährige Oscar Bellera, während er die Avenida Diagonal in Barcelona entlanggeht. Im Referendum 2017 hat er für die Unabhängigkeit Kataloniens gestimmt. „Aber ich dachte, das ist alles nur symbolisch. Als die wirklich alle Gesetze ignorierten und die Unabhängigkeit erklärten, ging mir das zu weit.“
Fanatismus und Rechte
Es ist ein Fanatismus, der als Gegenbewegung die ultrarechte VOX nährt. Diese setzt sich für ein vereintes Spanien ein, will den Föderalismus einschränken und die regionalen Sprachen degradieren. Da Spanien erst seit Mitte der 1970er-Jahre keine Diktatur mehr ist und diese von denselben Menschen in eine Demokratie verwandelt wurde, die zuvor dem faschistischen Führer huldigten, scheint für manche Mitbürger alles jederzeit offen für Änderungen zu sein, die Gestaltung des Landes, die Verfassung.
Die Universitätsprofessorin Astrid Barrio, die eine eigene Partei der moderaten Katalanen gegründet hat, mit der sie bei dieser Wahl aber nicht antritt, hält die aktuelle Situation für untragbar. Und zwar, weil sich die Stimmen für und gegen die Unabhängigkeit im 50:50-Bereich befinden und so eine Hälfte der Bevölkerung verlieren muss. „Wir müssen eine Mitte finden, um die sturen Blockaden aufzuheben“, fordert sie.
Ob 2021 eine Chance dafür bietet? Die sozialistische Partei, welche die Regierung in Madrid leitet, hat den ehemaligen spanischen Gesundheitsminister Salvador Illa als Kandidaten nach Katalonien ins Rennen geschickt. Sollte er gewinnen, wäre das angenehm für Madrid. Laut Umfragen kämpft er mit der PSC um Platz eins, gegen die Republikanische Linke ERC und Unabhängigkeitspartei JuntsXCat, welche sich zwischen 20 und 30 Prozent bewegen.
Labile Wirtschaft
Das Plus für die Sozialisten ist allerdings keiner thematischen Annäherung, sondern der Corona-Pandemie geschuldet. Identitätspolitik rückt für viele in den Hintergrund, weil sich ihr Leben nun um grundlegende soziale und ökonomische Probleme dreht, die auch ein unabhängiges Katalonien nicht einfach lösen können wird. Zumal die katalanische Wirtschaft schon zuvor unter den Unabhängigkeitsbestrebungen und der instabilen politischen Lage gelitten hat. Denn Katalonien wählt zum fünften Mal in zehn Jahren eine neue Regionalregierung. Und seit 2017 haben mehr als 3600 Unternehmen ihren Sitz aus Katalonien weg verlegt.
Da die Umfragewerte instabil sind und die Wahlbeteiligung unsicher ist, ist es schwer zu sagen, ob Katalonien sich mit einer neuen Koalition Richtung Dialog bewegen oder mit zwei sich gegenüberstehenden Blöcken verharren wird. Mit diesem zweiten Szenario rechnen Beobachter eher.
Gewählt wird heute in Zeit-Slots, nach Alter, vor Wahlhelfern in Ganzkörper-Schutzanzügen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 170. Da das Gericht eine Verschiebung der Wahl abgelehnt hat, wird die Coronapandemie diese inhaltlich und beteiligungsmäßig erheblich beeinflussen.
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