Zurück im zweiten Wohnzimmer: England öffnet seine Pubs
„Du hast den Großteil des Jahres damit verbracht, schöne Spaziergänge zu machen und warmen Wein zu trinken – aber nicht mehr lange.“ Das Red Lion Pub in Stevenage, nördlich von London, verheißt online ein Stück englisches Paradies nach dem dritten Lockdown.
In der 88.000-Einwohner-Stadt bereiten sich Pubs – wie auch im Rest Englands – darauf vor, den roten Teppich auszurollen. Stichtag: 12. April.
Ab dann darf die Gastronomie in Außenbereichen servieren – solange am Tisch bestellt und konsumiert wird und maximal sechs Leute oder Mitglieder zweier Haushalte zusammensitzen.
Auch The Standing Order, Teil der Pubkette Wetherspoon, auf der Hauptstraße von Stevenage wirbt für die Rückkehr. „Ob Regen oder Sonnenschein, unser Garten ist offen“, steht auf Aushängen. „Bring deine Decke, Regenschirm oder Sonnencreme.“ Beim Marquis of Lorne streichen Männer die Fensterrahmen neu. Mit einem Lächeln und Daumen nach oben bestätigen sie, dass hier bald wieder Bier fließt.
Lange schien in England in der Pandemie Hopfen und Malz verloren, aber das flotte Impfprogramm zeigt Erfolg. Auch der britische Premier Boris Johnson freut sich, wieder einmal anstoßen zu können. Er gab kürzlich zu, dringend einen Haarschnitt zu brauchen. Aber auf die Frage, ob er für 12. April, wenn auch Friseure öffnen, einen Termin habe, antwortete er: „Für das Pub? Ja!“
Laut einer Umfrage freuen sich 27 Prozent seiner Landsleute beim nächsten Öffnungsschritt am meisten auf den Friseur; gleich dahinter rangieren Pubs, die zweiten Wohnzimmer vieler Briten, mit 24 Prozent. Den Countdown erleichtert The Sun-Lesern mit dem „Bar-o-meter“ in Form eines Pint-Glases zum Ausschneiden. Hier kann man jeden Tag ausmalen bis zum oberen Rand, wo zu lesen ist: „Endlich.“
„Mein Kumpel hat für einige von uns einen Tisch für den 13. gebucht“, freut sich auch Alex. Aber nicht alle sind so erfolgreich. Denn so manche Pubs sind Medienberichten zufolge schon auf Wochen ausgebucht. Die Nachfrage war mancherorts so groß, dass ein Online-Betrüger laut BBC gefälschte Pub-Buchungen in Südlondon für 15 Pfund verkaufte.
Viele Lokale nehmen bei Reservierung eine Anzahlung an, um Gäste-Ausfälle zu verhindern. Denn der Erfolg der Wiedereröffnung könnte für nicht wenige über das wirtschaftliche Überleben entscheiden. Der Pub-Verband BBPA schätzt den Umsatzverlust im ersten Pandemiejahr auf fast eine Milliarde Liter Bier oder 9,6 Milliarden Euro. Durch Pleiten gingen etwa 2.000 Pubs verloren, sagt Analyst CGA und warnt: „Der Sektor wird geraume Zeit im Überlebensmodus bleiben.“
Keine Sperrstunde
Die mögliche Einführung von Impfpässen macht Betreibern ebenso Kopfschmerzen wie die Nachricht vor dem Wochenende, dass sich alle Besucher ab 16, statt wie im Vorjahr nur eine Person pro Gruppe, beim Eintreffen registrieren müssen.
Dafür hat die Regierung nach viel Kritik im Herbst diesmal keine Sperrstunde verhängt. Und sie hat Regeln gelockert, die es Pubs nun erlauben, ohne viel Bürokratie Zelte und Planen gegen Regen und Sonne aufzustellen und mehr Platz auf Gehsteigen, sogar Parkplätzen zu nutzen. Das soll Tausenden die Öffnung erleichtern – so auch Rebecca, der Chefin des Emperors Head Pub in Stevenage. „Unser Außenbereich auf Rasen vor der Tür wird offen sein, und wir stellen dort auch ein Zelt auf.“
Trotzdem erwartet die BBPA, dass nur etwa 40 Prozent aller englischen Pubs sofort starten werden, weil viele kaum Platz im Freien haben. So sagt etwa ein freundlicher Mann im The Squirrel: „Wir machen erst im Mai auf.“ Rebecca hofft, dass ihr Neustart davor ein Erfolg wird. Statt Reservierungen anzunehmen, rät sie: „Einfach vorbeikommen.“
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