Aber hat sich Russland nicht auch verkalkuliert?
Ihre falsche Einschätzung war, dass die Ukrainer, wenn sie kommen, sich ergeben und den russischen Befehlen sofort folgen, nach dem Motto: "Super, Putin ist gekommen." Aber Menschen, auch die, die zu Hause Russischsprechen, haben gesagt: ’Russischer Soldat, hau ab’. Das hat die ganze Planung dieses Vernichtungskrieges ruiniert. Jetzt müssen sie alles umdrehen, Menschen dazu zwingen, dass sie in Richtung Russland fliehen, oder von den russischen Besatzern Brot und Wasser nehmen. Sie wollten sich ja als Retter präsentieren.
Wie läuft Ihre Hilfsaktion für die umkämpften Gebiete?
Wir sind das wichtigste südwestliche Tor in die Ukraine, es gibt ein großes Lager in Rumänien, wo alle Hilfsgüter ankommen per Flugzeug, oder Lkw. von dort holen wir sie ab. Wir haben ein Lager, wo täglich 500 bis 600 Freiwillige arbeiten, um die Hilfe fertig zu machen, für die umkämpften Gebiete. Ich bin ständig in Kontakt mit meinen Kollegen und Bürgermeistern in diesen Gebieten, um herauszufinden, was sie dort brauchen. Wir stellen Pakete zusammen, mit Lebensmitteln und Artikeln für den täglichen Bedarf, jeweils 15 Kilo, Nudeln, Fleischkonserven etc. Wir schicken das in Kleinbussen in die Kriegsgebiete, dort können das die Menschen direkt übernehmen und kommen so ein paar Tage aus. Dort gibt es keine Zeit, um Paletten auszuladen und umzupacken.
Unsere Helden sind die Fahrer der Kleintransporter, die ohne Angst diese Pakete bis in die gefährlichsten Gegenden bringen. Versuchen Sie einmal das zuzustellen, in eine Gegend, in der Russen auf Zivilisten schießen, das ist lebensgefährlich. Die Hilfe, die aus dem Ausland bei uns ankommt, ist spätestens in 24 Stunden in den Kampfzonen.
Was ist die Stärke der Ukraine in diesem Krieg?
Die Stärke der Ukraine ist nicht die starke Macht von oben wie in Putins Russland, sondern unsere Netzwerke von Beziehungen auf einer Ebene im ganzen Land.
Unserer Armee geht es darum, Souveränität und Freiheit zu verteidigen. Grundprinzipien der modernen Welt. Unsere Stärke ist auch unser Präsident. Er spricht die Dinge direkt an, nennt sie beim Namen.
Wie hat sich Europa verhalten, vor dem Krieg und jetzt?
Zu viele haben versucht, Putin vorsichtig zu behandeln, haben ihm die Hand geküsst, haben den Kniefall gemacht. Alles nur um den Frieden zu bewahren. Das war ja der höchste Wert nach dem Zweiten Weltkrieg: Nie wieder Krieg!
Deshalb wurde ja alles, was Moskau gewünscht hat, erfüllt, bis zuletzt bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor drei Wochen. Da wurde von Vertretern der Ukraine offen gesagt: Tut was! Der Verrückte plant den Krieg. Die Reaktion war: Na ja, wir wollen ihn nicht reizen. Dieses Spiel hat sich als gescheitert herausgestellt. Hören sie auf ihre Militärexperten, etwa in Moskau. Sie sagen, Putin versteht unser Entgegenkommen als Schwäche und nicht anders.
Wie erklären Sie sich das, alles nur ein Irrtum?
Das Böse an der ganzen Entwicklung vor dem Krieg war das feige Benehmen der europäischen Politiker. Sie haben ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen maskiert, indem sie immer von der möglichen Bedrohung für ihre Bevölkerung gesprochen haben. Wenn Frau Merkel und andere offener gewesen wären, wenn sie nicht immer wieder Putin die Hand geküsst hätten! Jeder dieser Putin-Versteher, der damals da mitgemacht hat, muss heute beichten. Sie alle sollten heute zu uns kommen, nicht nur zur Grenze, sondern nach Kiew. Kommt, schaut euch das an, und dann sagt mir, ob ihr Putin immer noch versteht. Heute ist nicht die Zeit zu Schweigen, sondern die Zeit zuzugeben, dass man die Lage falsch eingeschätzt hat. Sonst bleibt man weiter feig.
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