Das große Match der Diplomaten
Man muss sich in diesen Tagen an Strohhalme klammern: Wenn ukrainische und (drittrangige) russische Unterhändler von „konstruktiven Gesprächen“ und „signifikanten Fortschritten“ sprechen, dann meint das nicht den Krieg in der Ukraine, sondern „nur“ humanitäre Korridore für die Zivilbevölkerung.
Umso mehr wird an anderen diplomatischen Fronten gekurbelt: Die Amerikaner reden mit den Chinesen, deren Haltung zu Wladimir Putins Aggression eine zwiespältige ist. Der britische Premier versammelt die Nordeuropäer zur Koordination, von denen sich einige von Russland bedroht sehen – und bedroht wurden. Und der türkische Präsident, der noch einen Draht zu Putin hat, wird von den Europäern bedrängt, zuletzt vom deutschen Kanzler, wohl um auf den russischen Präsidenten einzuwirken.
Schauplatz 1: USA erhöhen den Druck
In Rom traf am Montag der chinesische Spitzendiplomat Yang Jeichi auf Jake Sullivan, Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden. Vorab zeigte man sich in Washington alarmiert: Medienberichten zufolge wollen mehrere US-Regierungsvertreter erfahren haben, dass Russland bei China um militärische Unterstützung im Krieg gegen die Ukraine angesucht habe. In Peking will man davon nichts wissen, die Lieferung von Waffen und Militärtechnologie nach Russland scheint laut Staatsmedien aktuell ausgeschlossen.
Der Krieg in der Ukraine stellt die chinesische Regierung vor ein Dilemma und zwingt sie zu einer diplomatische Gratwanderung. Einerseits will man sich Russland, dem wichtigsten geopolitischen Verbündeten, nicht entgegenstellen, andererseits aber die deutlich lukrativeren Wirtschaftsbeziehungen zum Westen nicht aufs Spiel setzen, indem man etwa ebenfalls zum Ziel von Sanktionen wird.
Genau hier scheinen die USA Druck machen zu wollen: Sollten die Machthaber in Peking versuchen, Russland in diesem Konflikt „militärisch oder finanziell“ zu unterstützen, werde es Konsequenzen geben, richtete Sullivan vor seiner Reise nach Rom im US-Fernsehen aus. Schon vergangene Woche hatte die Weigerung Chinas, Maschinenteile für russische Flugzeuge zu liefern, in russischen Medien für große Aufregung gesorgt.
Die Staatsführung in Peking wird dem Westen gegenüber trotzdem keinerlei Zugeständnisse machen, ist der Politikwissenschafter und China-Experte Thomas Eder überzeugt: „Man wird hier tunlichst den Eindruck vermeiden wollen, von den USA zu irgendetwas gedrängt worden zu sein“, sagt er zum KURIER.
China als Vermittler?
Mehrere regierungsnahe Offizielle empfahlen der Staatsführung zuletzt, eine Vermittlerrolle zwischen Russland und dem Westen einzunehmen, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden. Es läge nicht im Interesse Pekings, „sich alleine auf eine anti-westliche Allianz mit Moskau zu stützen“, schrieb etwa der wirtschaftspolitische Regierungsberater Wang Huiyao in einem Gastkommentar der New York Times. Die wirtschaftlichen Beziehungen zum großen Nachbarn würden von jenen, die man zum Westen pflege, „in den Schatten gestellt.“
Für Eder sind solche Äußerungen eine „Fassade, um dem Westen gegenüber sein Gesicht zu wahren“. Fest steht: Für China muss ein schnelles Kriegsende das Ziel sein. Zu geeint treten EU und USA angesichts des russischen Aggressors auf, zu kritisch wird somit auch Chinas fehlende klare Linie gesehen.
Schauplatz 2: Ukraine sieht kleine Fortschritte
Am Montag startete die vierte Runde der Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland – diesmal treffen die Teams einander nicht persönlich, sondern per Video. Auch im Ton gibt es eine leichte Änderung: Michajlo Podoljak, Chefverhandler der Ukraine, sprach in einer Videobotschaft auf Telegram davon, dass die russische Seite beginne, „konstruktiver zu sprechen“, und sich „sensibler gegenüber der ukrainischen Position“ zeige. Auch Leonid Slutskij, einer der führenden Verhandler aus Russland, sprach gegenüber RT davon, dass er „einen signifikanten Fortschritt“ sehe.
Nichtsdestotrotz sind die Hoffnungen auf eine diplomatische Lösung auf direktem Wege beschränkt. Erreichbar scheint, sagt auch Podoljak, eine Einstellung des Feuers, um Fluchtkorridore zu schaffen. „Ich denke, wir werden binnen einiger Tagen konkrete Resultate haben.“ Eine bleibende Lösung erhofft aber auch er nicht. Das liegt daran, dass das russische Verhandlungsteam ausschließlich mit Personen besetzt ist, die nicht einmal Putins zweiter Reihe angehören – direkten Einfluss kann niemand ausüben. Zudem sind die Positionen derzeit unvereinbar: Russland fordert nach wie vor die komplette Demilitarisierung der Ukraine, die wiederum einen Truppenabzug.
Präsident Wolodimir Selenskijs Wunsch nach einem direkten Treffen mit Wladimir Putin – er hat ihn in einem Video am Sonntagabend formuliert – hat der Kreml am Montag nicht beantwortet; zuvor hat man ein solches Vieraugengespräch aber zumindest nicht ausgeschlossen. Größter Hemmschuh dabei dürfte der Ort sein: Putin hat noch für kein Gespräch über die Ukraine Moskau verlassen – und ob Selenskij dorthin die Reise antreten würde, ist mehr als fraglich.
Schauplatz 3: Johnson aktiviert Bündnis
Seit 1921 ist Chequers der Landsitz britischer Premiers. Mehrmals spielte das Herrenhaus nordwestlich von London eine Rolle in Europas Geschichte – zuletzt, als Theresa May 2018 ihren „Chequers-Plan“ zum Brexit darlegte. Der damalige Außenminister Boris Johnson lehnte diesen ebenso ab wie Brüssel; er zog den EU-Austritt 2020 nach seinen Vorstellungen durch.
Montagabend ging es in Chequers erneut um Europa, diesmal aber um die Bedrohung durch Wladimir Putin. Johnson, seit 2019 selbst Premier, wollte bei einem Abendessen und tags darauf in London mit den Staats- und Regierungschefs der Sicherheitsallianz JEF (Joint Expeditionary Force) über ein gemeinsames Vorgehen beraten. Die JEF besteht seit 2014 aus den NATO-Mitgliedern Dänemark, Island, Niederlande, Norwegen, Estland, Lettland und Litauen mit Großbritannien an der Spitze. Auch die bündnisfreien bzw. neutralen Länder Schweden und Finnland haben sich zu Kooperationen bereit erklärt. Sie fühlen sich wie die baltischen Staaten wegen der Nähe zu Russland bzw. russisch-stämmiger Einwohner besonders bedroht. Stockholm und Helsinki wollen aufrüsten, auch ein NATO-Beitritt wird nicht mehr ausgeschlossen. Der Kreml drohte für diesen Fall am Sonntag „Vergeltungsmaßnahmen“ an.
Image-Aufbesserung
Europa müsse verhindern, dass weitere Länder Putin zum Opfer fielen, hieß es vor Beginn des JEF-Treffens aus London. Zudem müsse man Europas Energieversorgung, Wirtschaft und Werte gegenüber jeder Einmischung aus Moskau abschirmen. Man erwäge „Übungen“ in Atlantik, Ostsee und Arktis.
Die Ukraine-Krise macht klar: Großbritannien sieht sich trotz Jahren des Streits als führender Teil Europas. Laut Experten nimmt es im Konflikt mit Russland wegen seiner Atomwaffen eine wichtige Rolle ein. In London mit seiner engen Bindung an die USA misstraut man dem Kreml nicht zuletzt wegen der Giftanschläge auf russische Ex-Agenten 2006 und 2018 mehr als anderswo. Er befürchte den größten Krieg seit 1945, sagte Johnson vier Tage vor dem Überfall auf die die Ukraine. Und warnte: Bei Putin sei nicht mit logischem Vorgehen zu rechnen.
Johnson nutzt sein Engagement allerdings auch persönlich, lenkt es doch von den Skandalen der letzten Monate ab. Engpässe im Zuge des Brexit, Korruptionsvorwürfe und illegale Lockdown-Partys ließen ihn in Umfragen abstürzen. Zuletzt kostete Johnson die zögerliche Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen weitere Sympathien. Nun will er Zehntausende Menschen aufnehmen.
Schauplatz 4: Scholz kurbelte bei Erdoğan
„Ich bin sicher, dass es absolut notwendig ist, dass wir den Gesprächsfaden (zu Kremlchef Wladimir Putin) nicht abreißen lassen.“ Mit diesem Credo, das Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) stets auf den Lippen trägt, reiste er am Montag auch zu seinem Antrittsbesuch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Ankara. Zeit für Bilaterales blieb wenig – das alles beherrschende Thema war der Krieg in der Ukraine. Und wie dieser gestoppt werden könnte.
Dabei setzte Scholz auch ein wenig Hoffnung in sein Gegenüber. Denn immerhin war es dem Machthaber am Bosporus gelungen, in der Vorwoche den ukrainischen und russischen Außenminister zusammenzubringen: Im türkischen Badeort Antalya loteten Dmitro Kuleba und Sergej Lawrow Möglichkeiten eines Waffenstillstandes aus. Sie kamen zwar auf keinen grünen Zweig, doch allein, dass die Begegnung überhaupt zustande gekommen war, wurde als Erfolg gewertet. Und nebenbei konnte sich Erdoğan als geachteter Vermittler auf der Weltbühne erneut ins Rampenlicht stellen.
Tatsächlich unterhält Ankara zur Ukraine exzellente Kontakte. Und auch zu Russland, wenngleich die Türkei in den Konfliktfeldern Syrien und Libyen jeweils andere Gruppen unterstützt als Moskau.
Scholz, der noch am selben Tag die Heimreise nach Berlin antrat, wollte sich mit Erdoğan über mögliche Friedensstrategien austauschen. Zumal der deutsche Kanzler selbst (gemeinsam mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron) einer der letzten westlichen Staatenlenker ist, der noch in Kontakt mit Putin ist.
Gespräch beim Dinner war auch der Trip von Gerhard Schröder in den Kreml, der den deutschen Ex-Kanzler in der Vorwoche zuerst auch in die Türkei führte.
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