Erst 43 Tage nach dem gescheiterten Putschversuch gelang es Südkoreas Polizei, den Präsidenten zu verhaften. Während er im Gefängnis sitzt, führt seine Partei einen Kampf gegen den Rechtsstaat.
Die neue Residenz des Präsidenten ist vier Meter lang und drei Meter breit. Hier gibt es kein Telefon, kein Internet, kein Bett. Dafür eine auf dem Boden ausgerollte Matte, einen Fernseher, eine Kommode und einen kleinen Schreibtisch. Das Fenster, hoch an der Wand gelegen, zieren Gitterstäbe.
Eigentlich sind Zellen dieser Größe für fünf Häftlinge ausgelegt. Seit einer Woche sitzt hier einzig Insasse Nummer 0010: Yoon Suk-yeol. Auch wenn er seine Amtsgeschäfte abgeben musste, ist er noch immer Südkoreas amtierender Präsident. Diese Situation gab es noch nie.
Der Fall Yoon hält die fünftgrößte Volkswirtschaft Asiens seit fast zwei Monaten im Würgegriff. Am 3. Dezember hatte der 64-Jährige völlig überraschend das Kriegsrecht ausgerufen und damit einen Putsch von oben versucht, war jedoch am Widerstand des Volkes, einzelner Generäle und der Abgeordneten im Parlament gescheitert.
Am Montag erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Aufruhrs – das einzige Vergehen, vor dem der Präsident in Südkorea nicht immun ist.
Polizei und Präsidentengarde zeigten mit Waffen aufeinander
In Untersuchungshaft sitzt Yoon allerdings, weil er zu keinem Zeitpunkt mit den Behörden koopertierte. Wochenlang legten hochrangige Militärs in öffentlichen Anhörungen dar, wie weitreichend der Präsident das Land „im Stile eines nordkoreanischen Diktators“ umstürzen wollte: „Es wäre das Ende von Südkorea gewesen, wie wir es kennen.“
Währenddessen war der gelernte Jurist Yoon trotz Aufforderung sechs Mal nicht vor Gericht erschienen. Als die Anti-Korruptions-Polizei zu Beginn des Jahres vor seiner Residenz auftauchte, um ihn abzuführen, stellte sich die Präsidentengarde ihr entgegen – mit gezogenen Waffen. Erst beim zweiten Versuch am 15. Jänner, als etwa 3.000 Polizisten aufmarschierten, ergab sich Yoon.
Zwei Tage lang wurde der Präsident verhört, doch er sagte nichts. Am dritten Tag saß er vor den Richtern des Bezirksgerichts Seoul-West, wo er eine 40-minütige Brandrede hielt, in der er sich als Opfer politischer Verfolgung darstellte: Keine Behörde habe das Recht, ihn, den Präsidenten, festhalten zu können.
Dieser Auftritt war der Funke, der einen Mob seiner Anhänger entzündete. Rund 300 von ihnen versuchten, das Gericht zu stürmen. Sie schlugen Fenster und Türen ein, verletzten 51 Polizisten. 86 Demonstranten wurden verhaftet, es war die größte Festnahmewelle in Südkorea seit zehn Jahren.
Anhänger des Präsidenten Yoon Suk-yeol stürmten am 17. Jänner das Bezirksgericht Seoul-West.
Machtkampf im Parlament
In all dem Chaos tragen Yoons Getreue innerhalb der People’s Power Party (PPP) auch im Parlament einen Machtkampf mit der Opposition aus, die seit dem Sommer über eine Mehrheit verfügt und akribisch daran arbeitet, ihn abzusetzen.
Zwar wählte eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten den Präsidenten schon Mitte Dezember ab, auch dank der Stimmen von zwölf PPP-Abgeordneten. Laut südkoreanischem Recht muss der Präsident seine Amtsgeschäfte damit ruhen lassen, bleibt aber formal im Amt, bis der Verfassungsgerichtshof die Amtsenthebung geprüft und endgültig entschieden hat.
Yoon, der seinen Putschversuch lange geplant hatte, sorgte jedoch vor und ließ drei von neun Höchstrichterposten unbesetzt – wohlwissend, dass laut Verfassung nur ein voll besetzter Verfassungsgerichtshof einen Präsidenten absetzen kann.
Seine Vertrauten verschleppen daher die Benennung neuer Richter, doch das hat Folgen: So wurde Yoons interimistischer Nachfolger nach nur einer Woche ebenfalls per Misstrauensvotum gestürzt.
Finanzminister Choi Sang-mok regiert Südkorea aktuell zeitgleich als Übergangs-Präsident und -Premierminister. Er ist seit Yoon Suk-yeols Amtsenthebung schon der zweite Mann in dieser Rolle - und auch ihm droht eine Amtsenthebung, sollte er es sich mit dem Parlament verscherzen.
Nun regiert Finanzminister Choi Sang-mok das Land zusätzlich als Übergangspräsident und -premier. Er ernannte zwei der vorgeschlagenen Richter, lehnte aber den dritten Kandidaten ab. Der wahrscheinliche Grund: Zwei der aktuell acht Richter müssen ihre Amtszeit am 18. April beenden und ebenfalls nachbesetzt werden.
Trotz des Versprechens der Justiz, dem Fall höchste Priorität einzuräumen, könnte das Verfassungsgericht noch monatelang handlungsunfähig bleiben.
Yoon droht die Todesstrafe
Die PPP führt damit nicht weniger als einen Kampf gegen den Rechtsstaat. Doch die Behörden feiern Etappensieg um Etappensieg. Und so mag es noch Wochen dauern, bis Yoon endgültig abgesetzt ist, doch diese Zeit muss der Präsident hinter Gittern verbringen.
Für Yoon selbst steht viel auf dem Spiel: Im Falle eines Schuldspruchs droht ihm nicht nur jahrelange Haft, sondern sogar die Todesstrafe – auch, wenn die in Südkorea seit Jahren nicht mehr justiziert wird. Doch die gesamte Causa hat bereits etliche Ausnahmen der Regel produziert.
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