Wulff-Prozess: Die Frage der Ehre

Der erste Prozess gegen einen Ex-Bundespräsidenten ist menschlich und juristisch ein Grenzfall.

Zuletzt wurde im Saal 127 des Landgerichts Hannover ein Mörder zu 22 Jahren Haft verurteilt. Ab Donnerstag sitzt Christian Wulff, Ex-Bundespräsident, auf dessen Anklagebank.

Die Staatsanwälte werfen ihm „Vorteilsannahme und -gewährung“ vor: Christian Wulff soll als Ministerpräsident von Niedersachsen gegen 719,40 Euro und eine Einladung am Münchner Oktoberfest den Filmproduzenten David Groenewold mit einer Empfehlung für die Filmförderung begünstigt haben. Die Höchststrafe darauf wären drei Jahre Gefängnis.

Wulff und Groenewold, der auch der Bestechung und Falschaussage angeklagt ist, bestreiten die Vorwürfe völlig und wollen das anhand ihres Umgangs als Freunde beweisen. Das Angebot der Staatsanwälte, gegen geringe Strafzahlungen den Prozess zu vermeiden, lehnten beide ab: Sie wollen ihre Ehre wiederherstellen. Obwohl der Prozess ihnen laut Anwälten „Angst“ macht.

Er ist so aufwendig wie die Ermittlungen, die über ein Jahr lang mehr als 40 Beamte beschäftigten und 12.000 Aktenseiten ergaben: In 22 Verhandlungstagen werden nun drei Richter, zwei Ankläger und vier Verteidiger vor 70 Journalisten um die Wahrheit ringen. Und wie immer die sich dann im Urteil darstellt: Schon jetzt ist klar, dass das Verfahren ein Grenzfall ist, in jeder Hinsicht.

Denn im Kern geht es darum, dass der ehemalige Regierungschef Niedersachsens und zeitweilig selbst ernannte Kronprinz von Kanzlerin Merkel ein finanziell zweifelhaftes Privatleben führte. Dass er nach der ersten Scheidung und der Heirat der jüngeren und ehrgeizigeren Zweitfrau Bettina sein Konto offenbar jahrelang bis zu 90.000 Euro überzog. Und dass ihm in dem Schlamassel immer reiche Freunde halfen, er das aber mit allen Mitteln – auch grenzwertigen Aussagen im niedersächsischen Landtag – krampfhaft zu verschleiern suchte.

Unfassbar unprofessionell wurde dieser Kampf, als die Medien, allen voran Bild, weiterrecherchierten, obwohl er sich zuvor von denen zum glamourösesten Image eines deutschen Bundespräsidenten bisher verhelfen hatte lassen. Den „Krieg“, den der angeschlagene Bundespräsident dessen Chefredakteur telefonisch androhte, verlor er umgehend in einer Welle öffentlichen Staunens und Empörung: Am 16. Februar 2011 leitete der Staatsanwalt die Ermittlungen ein, am Tag danach trat Wulff nach nur 16-monatiger Amtszeit im Schloss Bellevue zurück.

Vereinsamt

Seine Frau verließ ihn bald darauf, er lebt nun in einer Dachwohnung in Hannover vom „Ehrensold“ eines Ex-Bundespräsidenten: lebenslang 217.000 Euro im Jahr, Dienstwagen, Fahrer, Büro und Sekretärin. Verliert Wulff den Prozess, bleibt ihm aber wegen der hohen Anwalts- und Scheidungskosten wohl nur wenig.

Die öffentliche Resonanz ist sehr kontrovers: Sie reicht von der Verteidigung der Gleichheit vor dem Gesetz über Empörung über den Millionenaufwand für einen minimalen Grenzfall, auch angesichts extrem milder Urteile gegen Schwerst- und Gewaltkriminelle, bis hin zu blanker Häme für einen einst Mächtigen. Das Urteil wird Anfang März erwartet.

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