Wieso Schweden die geringsten Infektionszahlen hat
Ungetrübte Weihnachtsstimmung: Die vierte Corona-Welle scheint in Schweden ein Fremdwort zu sein. Erfolgreicher "Schwedischer Weg" oder Momentaufnahme?
Der traditionelle Weihnachtsmarkt in Stockholms Altstadt lockt bereits die Massen mit Schnitzwerk, Punsch, Wildbret und Süßigkeiten: Restriktionen oder gar ein Lockdown kommen dem seit 1837 zelebrierten Adventskommerz auch dieses Jahr nicht in die Quere.
Das skandinavische Land mit zehn Millionen Einwohnern verzeichnet derzeit eine der geringsten Todesraten in Europa – seit Anfang November werden oft gar keine Verstorbenen pro Tag verzeichnet. Mit einer Sieben-Tage Inzidenz von 58 (Fälle auf 100.000) bildet Schweden das glorreiche Schlusslicht innerhalb der EU. Die vierte Welle scheint dieses Land nicht zu betreffen.
„Wir hatten durch das ursprüngliche Virus eine große Infektionsverbreitung am Anfang der Pandemie. Dies führte vielleicht zu einer natürlichen Immunität bei vielen Schweden“, so die Erklärung von Niklas Arnberg, Virologe an der Universität Umea.
Schweden schaffte Ende September fast alle Restriktionen ab, empfiehlt weiter, Abstand zu halten. Das Land sorgte im Frühjahr 2020 international für Furore, als es mehr auf Empfehlungen als auf Verbote setzte und einen Lockdown vermied.
Wenig Impfgegner
Generell haben die Schweden ein hohes Staatsvertrauen, die Anzahl der Impfgegner ist gering. Wenn auch die Impfquote der Zweitgeimpften mit über 67 Prozent nicht besonders hoch ist, so wurde die Impfung der alten Menschen forciert.
Diese fielen zu Beginn der Pandemie dem Virus in großer Anzahl in den ungesicherten Altersheimen zum Opfer, unter den 15.110 Covid-Toten (Österreich: 12.042) sind vor allem die Pflegebedürftigen verzeichnet.
Derzeit gibt es auch einen Rückgang der Fälle auf den Intensivstationen, dennoch soll ab Dezember auch in Schweden ein Corona-Pass eingesetzt werden. So muss bei Veranstaltungen mit über 100 Teilnehmern Impfung, Testung oder Genesung nachgewiesen werden.
Und es gibt auch warnenden Stimmen. Etwa Jonas Björk, Epidemiologe an der Universität Lund, der zur Vorsicht mahnt. Auch im vorigen Herbst sei das schwedische Modell gefeiert worden, da die Infektionszahlen im europäischen Vergleich recht gering waren, später seien sie jedoch ebenso angestiegen.
Weniger Tests
Für die derzeit geringen Infektionszahlen gibt es nämlich noch eine Erklärung: das Land hat das Testen stark zurückgefahren.
So wurden in der vergangenen Woche nur 86.000 Personen getestet. Seit Beginn empfiehlt das schwedische Gesundheitsamt aufgrund der dramatischen Lage in anderen Ländern, in Schweden auch Geimpfte wieder zu testen – wenn sie Symptome haben.
Gegner der Pandemie-Strategie weisen darauf hin, dass das Land die geringste Testquote innerhalb der EU habe. Anders etwa als der Nachbar Dänemark, der, was das Testen betrifft, auf Platz vier innerhalb der Europäischen Union steht. Auch Kopenhagen führte das große Lockerlassen ein – hatte von Anfang September bis Anfang November praktisch keine Restriktionen erlassen, doch dann den Corona-Pass eingeführt und den Druck auf die Ungeimpften stark erhöht. Das Land verzeichnet derzeit eine Sieben-Tage-Inzidenz von 450.Jens Mattern
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