Putins Spione mitten in Wien
In keinem anderen Land Europas sind so viele Spione stationiert wie in Österreich. In der Regel sind sie als Diplomaten akkreditiert und genießen somit Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung.
Wien ist deshalb so eine beliebte Spionagedrehscheibe, weil es geopolitisch zentral liegt und hier viele Internationale Organisationen angesiedelt sind, darunter die UNO, die Atombehörde IAEO und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Federführend bei nachrichtendienstlichen Aktivitäten in Wien sind die Russen; die Zahl ihrer Spione ist laut heimischen Experten in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen.
Heute sind rund 181 Russen in Österreich als Diplomaten beim Außenministerium akkreditiert, davon 77 an der Botschaft in Wien, 100 bei den Internationalen Organisationen und vier am Generalkonsulat in Salzburg. Weiters sind 143 Personen derzeit „als administrativ-technisches Personal akkreditiert“, davon 87 Personen an der Botschaft.
„Die russischen Nachrichtendienste SWR und GRU sind in Österreich überproportional stark vertreten, und Wien ist wahrscheinlich eine der stärksten Stationen in Europa“, sagt ein heimischer Geheimdienst-Experte zum KURIER. „Rund die Hälfte der an der russischen Botschaft tätigen Diplomaten sind Nachrichtendienstler.“ Zumindest besteht der Verdacht.
Russische UN-Botschaft
Auch die russische Handelsvertretung in der Wiener Argentinierstraße scheint eine Tarnadresse für Agenten zu sein. „Im Vordergrund stehen politische und wirtschaftliche Ausspähungen“, heißt es in einem vertraulichen Papier. Im Bereich Wirtschaft und Forschung interessieren sich die Russen-Spione vor allem für Fertigungstechniken, Rüstungsbelange und Marktstrategien. Indes ist der militärische Geheimdienst GRU unter anderem für die Beschaffung von „militärisch relevanten Informationen und Produkten aus Unternehmen und von Universitäten“ zuständig.
Die aktuelle Ausweisung von vier russischen „Technikern“ dürfte in Zusammenhang mit einer brisanten Recherche des ORF-Senders FM4 stehen. Dieser hatte kürzlich aufgedeckt, dass die Russen in Wien-Donaustadt die größte Satelliten-Spionageanlage in Europa betreiben.
„Ein Gutteil dieser Sat-Schüsseln zielt auf mehrere Sat-Positionen der beiden europäischen Betreiber SES Astra und Eutelsat. Alle großen Spiegel dienen definitiv nicht zur Kommunikation der Botschaft, sondern sind für Spionagezwecke konfiguriert“, heißt es auf der FM4-Homepage. Mit den Sat-Anlagen auf dem Dach der russischen UN-Botschaft in der Zschokkegasse werden somit Datenströme westlicher Länder illegal angezapft.
Spuren quer durch Europa
Seit Beginn des Ukrainekrieges haben europäische Geheimdienste jedenfalls zahlreiche mutmaßliche russische Spione enttarnt. Dabei geht auch die Justiz mit ungewohnter Härte vor, in Schweden etwa wurde Mitte Jänner ein 42-jähriger Mann zu lebenslanger Haft verurteilt. Er war beim schwedischen Nachrichtendienst Säpo und beim Militär angestellt und soll geheime Unterlagen nach Russland geschmuggelt haben. Sein jüngerer Bruder hatte den Kontakt zum russischen Geheimdienst hergestellt und muss dafür knapp zehn Jahre absitzen.
Geheimdienst der Niederlande
Verstärkt im Visier Russlands sind auch internationale Organisationen. Bereits 2018 vereitelte der Geheimdienst der Niederlande einen Angriff von vier russischen GRU-Agenten auf die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) in Den Haag. Im vergangenen Sommer wurde dort auch ein Russe festgenommen, der mit brasilianischer Identität beim Internationalen Strafgerichtshof arbeiten wollte. Er wollte offenbar Informationen über Ermittlungen wegen des Ukraine-Kriegs absaugen und Einfluss auf Verfahren nehmen.
21 russische Diplomaten ausgewiesen
Momentan gibt es jedenfalls fast im Wochen-Rhythmus Meldungen über russische Spionagetätigkeiten. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass im slowenischen Laibach ein Paar festgenommen wurde, das Informationen in mehreren Nachbarländern besorgt haben soll. Kurz vor Weihnachten wurde außerdem ein Mitarbeiter des deutschen BND verhaftet, der Geheiminformationen über den Ukraine-Krieg weitergeben haben könnte. Belgien hat seit Kriegsbeginn 21 russische Diplomaten ausgewiesen – das ist womöglich nur die Spitze des Eisbergs. Rund ein Drittel der 220 russischen Botschaftsmitarbeiter dürften als Spione aktiv sein, vermuten lokale Investigativjournalisten.
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