Wiederaufbau der Ukraine: Es werden schlichtweg Menschen fehlen

Freiwillige der Wohltätigkeitsorganisation "Repair Together" räumen Schutt in einem zerstörten Wohnviertel im Dorf Schestowyzja in der Region Tschernihiw.
Der kriegsbedingte Bevölkerungsschwund in der Ukaine gefährdet einer Studie nach den Wiederaufbau des Landes. Regionen im Osten und Südosten sind besonders betroffen.

Der russische Angriffskrieg hat die demografische Krise der Ukraine, in der sich das Land seit seiner Unabhängigkeit befindet, radikal verschärft und wird zu einem massiven Arbeitskräftemangel nach Kriegsende führen.

Zu diesem Fazit kommt eine Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Unabhängig davon, wie lange der Krieg dauert, dürfte sich die Ukraine demografisch nie mehr von den Folgen erholen, sagte Studienautorin Maryna Tverdostup.

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Auch im Jahr 2040 werde die Ukraine mit rund 35 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern etwa um ein Fünftel weniger haben als vor dem Krieg (2021: 42,8 Mio.). Der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter dürfte dabei in jedem Fall am stärksten und folgenreichsten ausfallen, heißt es in der Studie laut einer Aussendung des wiiw vom Donnerstag.

Dadurch könnte der Wiederaufbau enorm beeinträchtigt werden, weil schlichtweg die Menschen fehlen werden, um die Zerstörungen zu beseitigen und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Das gilt vor allem für die östlichen und südöstlichen Regionen des Landes, die am stärksten vom Krieg betroffen sind.

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Vor allem die massive Abwanderung von gut ausgebildeten Frauen, zumeist im erwerbs- und gebärfähigen Alter, die etwa 70 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge ausmachen, dürfte den Bevölkerungsverlust auf lange Zeit zementieren. Dazu kommt der Exodus von vielen Kindern und Jugendlichen, die rund ein Drittel der Geflohenen ausmachen.

Im Falle eines Best-Case-Szenarios, also einem Kriegsende in diesem Jahr, dürfte die Bevölkerung des Landes ab 2024 wieder zunehmen und 2030 ihren Nachkriegshöchststand von 37,8 Millionen erreichen. Trotzdem würde sie nie wieder das Vorkriegsniveau erreichen.

Worst-Case: Krieg geht bis zum Jahr 2025

Das Worst-Case-Szenario geht hingegen von einem langen Krieg bis zum Jahr 2025 aus. In diesem Fall würde die Ukraine zwischen 2022 und 2025 rund sieben Mio. Menschen verlieren, und auch in den 2030er-Jahren würde die Bevölkerung nicht wieder den Stand von 2022 erreichen. In diesem Szenario bliebe die Fruchtbarkeit niedriger, die Sterblichkeit höher, die Abwanderung von Flüchtlingen hoch und die Anzahl der Rückkehrer begrenzt.

"In jedem Fall steht die Ukraine vor einer dramatischen demografischen Herausforderung, ähnlich wie Europa nach dem Zweiten Weltkrieg", resümiert Studienautorin Tverdostup. Der Aderlass in der Bevölkerung werde den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung des Landes über Jahre stark in Mitleidenschaft ziehen, sagte die Ökonomin.

Die Studie, die sich mit der Frage beschäftigte, welche Folgen der Krieg für die Bevölkerungsentwicklung der Ukraine haben und was das für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Zukunft des Landes heißen könnte, empfiehlt der ukrainischen Regierung und ihren internationalen Partnern daher ein Bündel an Maßnahmen, um den Bevölkerungsschwund in Grenzen zu halten: Möglichst viele Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen, indem Wohnungen und Arbeitsplätze geschaffen und ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen errichtet werden, hieß es.

 

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