Ohne die europäischen Gelder – 1,7 Milliarden Euro an Krediten sollen jeden Kriegsmonat an Kiew fließen – würde der Staat implodieren. Ohne die Waffen aus dem Westen wäre keine wirkungsvolle Verteidigung möglich.
Rückeroberungen
Seit einigen Wochen treiben die ukrainischen Streitkräfte ihre lang erwartete Gegenoffensive voran. Die „krieche langsam vorwärts“, analysiert Nico Lange, betont aber dabei: „Die Ukraine muss akribisch und methodisch vorgehen. Man sieht nicht viel und bekommt nicht viel mit. Aber sie wird in der Lage sein, Erfolge zu erzielen.“
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Dass der Ukraine bei diesem sehr langsamen Vorrücken im Osten und Südosten des Landes der Atem ausgehen könnte, weist der Sicherheitsexperte und Ukraine-Kenner Lange geradezu entrüstet zurück: „Mit diesen Vorhersagen, der Ukraine werde die Puste ausgehen, bin ich sehr zurückhaltend. Ich sehe, dass Russland bisher keines seiner militärischen Ziele erreicht hat. Dass die Ukraine bereits Teile des eroberten Gebietes zurückerobert hat. Allein in einem Monat hat sich die Ukraine mehr zurückgeholt als Russland zuvor in sechs Monaten besetzt hat.“ Rund um die von russischen Angriffen mittlerweile völlig zerstörte Stadt Bachmut etwa haben ukrainische Truppen mittlerweile wieder an Boden gewonnen.
Doch wie lange wird die Unterstützung des Westens anhalten? Wahlen zum Europa-Parlament stehen nächsten Juni an. In den USA rüstet sich schon Ex-Präsident Donald Trump auf seinen Wiedereinstieg ins Weiße Haus. Was, wenn der Republikaner bei einem möglichen Wahlsieg im Herbst der Ukraine die Hilfe abdreht?
„Egal, ob Trump gewählt wird oder nicht – in beiden Fällen ist es eine gute Idee, dass die Europäer selbst mehr für ihre eigene Sicherheit tun“, fordert Nico Lange. Ein gutes Signal sei dabei allein schon die Ankündigung des deutschen Verteidigungsministers Pistorius, in Litauen eine 4.000 Mann starke Kampfbrigade zu stationieren. Kriege, so betont der Experte, „folgen einer militärischen Logik. Der Krieg hält sich nicht an Wahltermine.“
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Dass der kollektive Westen die Ukraine weiterhin massiv halten und unterstützen wird, davon geht Nico Lange aus. „Wir schauen nicht zu, wenn ein anderes Land überfallen wird. Das halte ich für ausgeschlossen.“
Sicherheitsgarantien
Was es jetzt noch mehr brauche, seien systematische, kontinuierliche Waffenlieferungen, weitreichende Präzisionswaffen, Kampfflugzeuge, mehr Munition, Material und Ersatzteile. Und später, bei einem Waffenstillstand, brauche es umfassende Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
Von einem Beistandspakt will Nico Lange dabei noch gar nicht reden – es gehe vielmehr darum, dass eine Koalition williger Staaten die Ukraine so stark aufrüsten und ihre Armee so gut ausbilden müsse, dass diese dann „durch eigene Kraft Russland abschrecken kann“.
Letztlich aber sei die einzig wirklich wirksame Sicherheitsgarantie für die Ukraine nur ein Beitritt zur NATO. Bei aller westlichen Unterstützung für die Ukraine vermisst der Sicherheitsexperte mehr Engagement Österreichs. „Es wäre schön, wenn Österreich ein bisschen mehr tun würde, um sich klar zu positionieren.“
Anders als Finnland und Schweden, die ihre Bündnisfreiheit aufgegeben hätten, sei Österreich über die Neutralität gar nicht ins Nachdenken gekommen. „Da muss man sich fragen, ob Österreich die Zeichen der Zeitenwende erkannt hat. Aber es ist ja auch bequem, wenn man beschützt wird, weil die anderen rundherum die Arbeit machen.“
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