Die Möglichkeit, Nein zu sagen, haben Palästinenser bei den Kontrollen zwischen Westjordanland und Israel nicht: Wenn israelische Soldaten sie mit ihren Handys fotografieren wollen, müssen sie dies geschehen lassen. Wobei diese Fotos einzig dem Zweck der Überwachung dienen:
Mit einer sogenannten Blue-Wolf-Anwendung – installiert auf den Mobiltelefonen der Soldaten – werden Bilder von Zivilisten gemacht, um sie dann per Gesichtserkennung zu identifizieren. Die App zeigt dann sofort mit einer Farbe an, ob von der Person Gefahr ausgeht oder nicht: Wird sie rot, wäre die Person in Gewahrsam zu nehmen.
Israels Armee hat bestätigt, dass es die App gibt. Doch sie lässt im Unklaren, wie weit sie bei dieser neuen Art der Massenüberwachung wirklich geht.
Zweierlei Maß
Offiziell bezeichnete ein Armeesprecher das Fotografieren palästinensischer Zivilisten – von alten Frauen bis zu Kleinkindern – als "routinemäßige Sicherheitsoperationen" im Rahmen des "Kampfes gegen den Terrorismus". Doch die israelische Organisation "Breaking the Silence" hat Dutzende Zeugenaussagen israelischer Soldaten gesammelt und berichtet: Die Handyfotos werden in eine Datenbank aufgenommen, damit sollen offenbar die Profile möglichst vieler Palästinenser im Westjordanland erstellt werden. Wobei dort nach Recherchen der Washington Post nicht nur die Bilder und Informationen über den Beruf, Bildungsgrad, Gefährdungsstufe des Fotografierten eingespeist werden, sondern auch dessen gesamte Familiengeschichte.
Ein derartiger Übergriff auf die Privatsphäre wäre gegenüber den eigenen Staatsbürgern in Israel undenkbar. Dort ist das Recht auf Privatsphäre im Grundrecht festgeschrieben. Die betreffenden Daten einer Person dürfen nur mit ihrer Zustimmung verwendet werden.
Zudem verbot Israels Oberstes Gericht vor Kurzem wieder, die Handydaten der Bürger in der neuesten Coronawelle zur Kontaktverfolgung zu nutzen. Das sei nur möglich, wenn die Bürger dies ausdrücklich erlauben.
Schon vor zwei Jahren soll die israelische Armee mit dem Ausbau ihres umstrittenen digitalen Überwachungsprogramms begonnen haben. In Hebron etwa wurden Kameras mit automatisierter Gesichtserkennung installiert.
Rund um das Grab der Patriarchen soll mittlerweile bereits alle 300 Meter eine derartige Kamera hängen. Das soll den Soldaten an den Checkpoints in der Stadt dabei helfen, Palästinenser schon zu identifizieren, bevor diese noch ihre Ausweise zeigen, heißt es vonseiten der Armee.
In Israel selbst stieß das Gesetzesvorhaben, ebenfalls Kameras mit Gesichtserkennung zu installieren, auf massiven Widerstand der Bevölkerung.
In Europa vorerst ein Tabu
In Europa bleibt Überwachung per Gesichtserkennung vorerst ein Tabu. Erst im Oktober forderte das EU-Parlament ein Verbot der Echtzeit-Nutzung einer automatisierten Erkennung von Personen im öffentlichen Raum mittels biometrischer Hilfsmittel. Bürger sollten nur überwacht werden, wenn sie verdächtigt werden, eine Straftat begangen haben.
Das Parlament fordert zudem ein Verbot der vorausschauenden Polizeiarbeit auf der Grundlage von gesammelten Verhaltensdaten.
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