Gelegenheit macht Diebe. Auch bei Facebook. Im weltweit von mittlerweile drei Milliarden Menschen frequentierten Social-Media-Giganten aus Kalifornien können an die 16.000 Experten an das Allerheiligste: die privaten Daten aller Nutzer, mit allen Vorlieben, Interessen und Gewohnheiten.
Binnen weniger Monate wurden 2015 still und leise über 50 Angestellte gefeuert. Meist Männer. Sie hatten ihren privilegierten Zugang genutzt, um Frauen auszukundschaften und ihnen nachzustellen. In einem Fall geriet ein Ingenieur bei einer Europa-Reise mit seiner Herzdame in Streit. Als sie mit unbekanntem Ziel das gemeinsame Hotel verließ, fand Mister X mit geheimen Facebook-Tools ihre neue Bleibe heraus. Ein eklatanter Missbrauch.
Diese Begebenheit steht im neuen Enthüllungsbuch der langjährigen New-York Times-Facebook-Expertinnen Sheera Frenkel und Cecilia Kang. Der Titel „Inside Facebook. Die hässliche Wahrheit“, gerade auf Deutsch erschienen, kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt. Denn diverse Kongress-Ausschüsse und Institutionen haben sich jüngst aufgemacht, die Zerschlagung des an der Börse inzwischen mehr als 1.000 Milliarden Dollar wertvollen Weltkonzerns in die Wege zu leiten. Facebook soll in einem ersten Schritt dazu verurteilt werden, sich von den firmeneigenen Plattformen Instagram und Whatsapp zu trennen und so eine wettbewerbserstickende Monopol-Situation aufzulösen.
Die Autorinnen zeichnen einen Konzern, der letztlich alle Entscheidungsgewalt einem einzigen Mann übertragen hat, der nur ein Ziel kenne: „Wachstum um jeden Preis.“ Welche Konsequenzen daraus erwachsen, ist verblüffend. So warnte der längst gefeuerte Sicherheitschef Alex Stamos bereits im März 2016, also acht Monate vor der Wahl Donald Trumps, davor, dass russische Akteure mit manipulativen Beiträgen auf Facebook die US-Präsidentschaftswahl zugunsten des Rechtspopulisten beeinflussen. Zuckerberg und seine wichtige Mitstreiterin an der Spitze, Sheryl Sandberg, erfuhren davon erst neun Monate später. Ursache: Die Chefs ließen sich laut Sheera Frenkel und Cecilia Kang de facto abschirmen vor schlechten Nachrichten, die ein vorzeitiges Einschreiten gegen die zerstörerische digitale Beeinflussung aus Moskau und deren Verstärkung durch Trump erfordert hätte.
Ähnlich desaströs fällt die Bilanz auch im Rückblick auf die Erstürmung des Kapitols in Washington durch Trump-Anhänger am 6. Jänner dieses Jahres aus. Facebook-Wächter erkannten demnach durch die Beobachtung von Postings frühzeitig, dass sich dort eine Gewaltexplosion ereignen könnte. Es wurde erwogen, dass Zuckerberg Trump vor jener Kundgebung am Weißen Haus persönlich anruft und um mäßigenden Einfluss bittet. Am Ende nahm der 37-jährige Multi-Milliardär den Hörer nicht in die Hand.
"Wie Fliegen an der Wand"
Die besondere Qualität des Buches speist sich daraus, dass die Autorinnen glaubhaft machen können, „wie Fliegen an der Wand“ dabei gewesen zu sein, als Facebook-intern Skandale und Fehlentwicklungen debattiert wurden – ohne dass substanzielle Konsequenzen gezogen wurden. Am Ende habe stets die Höhe der Werbe-Einnahmen den Ausschlag gegeben, der bei polarisierenden Beiträgen signifikant höher sei, und nicht die gesellschaftliche Verantwortung.
Bezeichnend für den Wahrheitsgehalt des Buches ist, dass Facebook jede Schilderung, jedes Zitat vorher zur Stellungnahme vorgelegt bekam und bis auf Nebensächlichkeiten keine Beanstandungen vorgenommen habe. Ausnahme: Das Unternehmen dementierte, dass es zwischen Zuckerberg und Sandberg ein Zerwürfnis über die Ausrichtung des Konzerns geben soll.
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