Wie die Taliban Frauenrechte unter der Scharia auslegen

Von Eva Sager
Zarifa Ghafari war Afghanistans jüngste Bürgermeisterin, eine von nur wenigen weiblichen Stadtoberhäuptern. Ghafari ist Frauenrechtlerin. Bei ihrem Amtsantritt 2018 versperrte ihr laut NZZ ein Mob von Männern Steine werfend den Weg zum Gebäude. Drei Jahre später ist sie wieder in Gefahr. Die Taliban sind zurück. „Ich sitze hier und warte auf sie. Es gibt keine Hilfe für mich oder meine Familie. Sie werden kommen und Leute wie mich umbringen“, sagte Ghafari der britische Zeitung inews. Aber es kommt anders. Ghafari kann mitsamt ihrer Familie nach Deutschland fliehen und entgeht damit einer extrem restriktiven Auslegung der Scharia.
Schon zwischen 1996 und 2001 herrschten die Taliban in Afghanistan. Unter ihnen galt das islamische Recht, die Scharia. Ihre Bestimmungen speisen sich aus dem Koran und prophetischen Überlieferungen. Die Scharia ist kein kodifiziertes Gesetzeswerk, kein Buch mit Paragraphen. Dementsprechend fehlt eine einheitliche Auslegung. Die Scharia ist von Land zu Land verschieden, von Theologe zu Theologe - je nachdem unterschiedlich liberal.
Die Taliban interpretieren sie besonders streng. Weltweit wird das System der islamistischen Terrorgruppe für seine extrem patriarchalen Strukturen und die massive Gewalt gegen Frauen bekannt. Sie dürfen nicht alleine aus dem Haus gehen, schon gar nicht unverschleiert, haben keinen Zugang zu Bildung oder dem Arbeitsmarkt. Hohe Absätze sind verboten, sogar Nagellack. Ihre medizinische Versorgung ist eingeschränkt, sie verschwinden komplett aus der Öffentlichkeit. Für die Taliban ist alles, was von der Verehrung Allahs ablenken könnte, sündig – Frauen dementsprechend quasi die Verkörperung der Sündhaftigkeit. Daraus leiten sie die Verbote in Bezug auf die Berufstätigkeit von Frauen und ihren Zugang zu Bildung ab. Gezwungene Zurückgezogenheit und Vollverschleierung ist die Folge.
UNO-Menschenrechtsrat berät
Mit der derzeitigen Lage in Afghanistan beschäftigt sich heute der UNO-Menschenrechtsrat. Dort berichtete die Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, dass der Bewegungsspielraum von Frauen in manchen afghanischen Regionen eingeschränkt wurde, Mädchen dürften teils nicht mehr zur Schule gehen. Friedliche Proteste würden unterdrückt und Minderjährige zum Waffendienst geholt. "Es bestehen gravierende Risiken für Frauen, Journalisten und die neue Generation von Leitfiguren der Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Jahren in Erscheinung traten", sagte Bachelet. "Afghanistans unterschiedliche ethnische und religiöse Minderheiten sind ebenfalls der Gefahr von Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt, bedenkt man die Muster schwerer Menschenrechtsverletzungen unter Taliban-Herrschaft in der Vergangenheit und Berichte über Tötungen und gezielte Anschläge in den vergangenen Monaten."
Es wird erwartet, dass der Rat eine Resolution verabschiedet, in der er die Taliban zur Einhaltung der Menschenrechte auffordert. Für die Taliban hat die Scharia aber einen Alleingültigkeitsanspruch, das heißt, sie kann nicht neben anderen Rechtsformen, wie beispielsweise Frauenrechten, stehen.
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