Wie die italienische Mafia im vergangenen Jahr Geld scheffelte
Andrea Affaticati, Mailand
Schon im April vorigen Jahres warnte Nicola Gratteri, dass die Mafia die Pandemie als Chance nutzen würde. Und der Staatsanwalt aus Catanzaro, Italiens bekanntester Mafia-Jäger, hatte recht. Die Cosa Nostra in Palermo profilierte sich als fürsorglicher Helfer und verteilte in den Armenvierteln der Stadt Lebensmittelpakete, die kalabrische „Ndrangheta“ im Norden als großzügiger Kreditgeber.
Die Strategie ist klar: Mit den Lebensmittelpaketen erkauft sie sich das Wohlwollen mittelloser Bürger, mit den Krediten schleust sie ihr Schwarzgeld in „saubere“ Unternehmen. Wie viele Firmen sich die Organisierte Kriminalität in diesem Jahr schon unter den Nagel gerissen hat, sei noch schwer zu sagen, berichtet die Anti-Mafia-Ermittlungsbehörde DIA.
„Die Zahl der Unternehmer, die sich in diesen Monaten an uns gewandt haben, weil sie von fragwürdigen Gestalten kontaktiert worden waren, oft aber auch schon Opfer dieser waren, ist exponentiell gestiegen“, sagt Roberto Malvolti zum KURIER.
Dubiose Kredite
Er leitet das Anti-Mafia-Hilfswerk „SOS Italia Libera“ in der Region Emilia Romagna. „Während der ersten Welle hat der Staat den Kleinunternehmern Kredite bis zu 25.000 Euro gewährt, doch das genügte gerade, um einige Monate zu überbrücken.“
Wie leicht es ist, in die Fänge der Mafia zu geraten, berichtet der Bauunternehmer Stefano Maioli dem KURIER. In seinem Fall handelte es sich um die Camorra aus Kampanien: „Ich saß tief in der Klemme und sprach mit Freunden und Bekannten darüber. Einer sagte mir, er kenne jemand der helfen könne.“
Dann ging alles sehr schnell. Er bekam 3.000 Euro mit einem Zuschlag von 600 Euro. Wenn man den Betrag aber nicht fristgerecht zurückerstattet, steigen die Zinsen weiter, bis man das Unternehmen abtreten muss.
Die Mailänder Handelskammer hat in den vergangenen Monaten eine Recherche bei 400 Firmen durchgeführt.
Aus dieser geht hervor, dass sich die Zahl von dubiosen Hilfsangeboten, sowohl was die Kreditvergabe wie auch den Aufkauf von Unternehmen unter dem Marktpreis betrifft, verdoppelt hat. „Folge dem Geld, ist die Devise der „Ndrangheta“, erklärte unlängst Oberstleutnant Piergiorgio Samaja, der die Mailänder DIA leitet.
„Bis vor 40 Jahren machte die „Ndrangheta ihre Geschäfte mit Drogen und Entführungen“, fährt Samaja fort. „Sie hat sich aber inzwischen weiterentwickelt. Der Kopf der Organisation ist zwar noch immer in der Provinz Reggio Calabria, die wirklich lukrativen Geschäfte macht sie aber im Norden.“
Doch auch in Deutschland ist sie stark vernetzt. Für internationales Aufsehen hatte im August 2007 ein Killerkommando aus Kalabrien gesorgt, das in Duisburg sechs Italiener, die zu einer verfeindeten „Ndrangheta“- Familie gehörten, vor einer Pizzeria erschoss. „’Hinrichtungen’ sind aber die Ausnahme, die schaden dem Geschäft“, hebt Samaja hervor. Viel lukrativer sei es, sich in saubere Unternehmen einzuschleusen und die Erträge dann im Ausland zu deponieren. Die nahe gelegene Schweiz und ab und zu auch Österreich, die über weniger strenge Bankregelungen verfügen, sollen sich bestens dafür eignen.
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