Mega-Prozess als Kampfansage an die mächtigste Mafia

Mega-Prozess als Kampfansage an die mächtigste Mafia
In Kalabrien hat ein Prozess der Superlative gegen die ’Ndrangheta begonnen. Sie hat der Cosa Nostra längst den Rang abgelaufen.

Dafür hat der bekannteste lebende Mafiajäger Italiens, Nicola Gratteri, jahrzehntelang gearbeitet – und steht jetzt, mit 62, rund um die Uhr unter Polizeischutz: Kalabriens mächtiger Mafiaorganisation ’Ndrangheta wird der Prozess gemacht. Es ist die mächtigste, brutalste und verschwiegenste Mafiaorganisation Italiens, die, lange unterschätzt, auf allen fünf Kontinenten ihr Netzwerk spannen konnte.

Im Zentrum des Gerichtsverfahrens, das am Mittwoch in einem bunkerähnlichen Gerichtssaal in Lamezia Terme begann, steht der Clan von Luigi Mancuso, dem „Kokain-König“. Dank des Kokain-Imports aus Südamerika, dem Hauptgeschäft der ’Ndrangheta, wurde diese zu „einer der mächtigsten kriminellen Holdings der Welt“, wie Gratteri es formuliert.

Mega-Prozess als Kampfansage an die mächtigste Mafia

Mafiajäger Nicola Gratteri hat sich schon als Kind für den Kampf gegen die 'Ndrangheta entschieden

Ihr Jahresumsatz wird auf mindestens 50 Milliarden Euro geschätzt, manche Experten sprechen gar von 100 Milliarden. Die 13.500 Seiten fassende Anklageschrift deckt gleich 400 Straftatbestände ab – von Mord, Erpressung, Raub, Waffen- und Sprengstoffbesitz, Drogenhandel bis hin zu Geldwäsche und anderen Wirtschaftsdelikten.

Mega-Prozess als Kampfansage an die mächtigste Mafia

"Aula Bunker", heißt der für Prozess errichtete bunkerähnliche Gerichtssaal in Kalabrien

So gut wie allen der 355 Angeklagten – darunter Politiker, Anwälte, Polizisten, Carabinieri, Justizmitarbeiter – wird die Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung vorgeworfen. Darunter ist auch ein ehemaliger Abgeordneter und Senator von Silvio Berlusconis Forza Italia, Giancarlo Pittelli. Er wurde von verdeckten Ermittlern in Restaurants bei Verhandlungen mit Mancuso über Geldwäsche gefilmt.

Signal zur richtigen Zeit

900 Zeugen sollen in dem Mega-Prozess in Kalabrien gehört werden, darunter 58 Kronzeugen. Mafiaspezialisten sehen darin ein wichtiges Signal, dass der Staat vehement gegen die Mafia vorgeht. Und das kommt gerade recht: Durch Corona und die Wirtschaftskrise kann die Mafia Unternehmen in Geldnot infiltrieren und weitere Gefolgschaft anwerben.

Es ist ein Prozess, wie ihn Italien seit dem „Maxi-Prozess“ gegen Siziliens Cosa Nostra nicht mehr gesehen hat. 1987 waren 344 Angeklagte zu 2.665 Jahren Haft verurteilt worden. Die Cosa Nostra konnte sich von diesem Schlag nie mehr richtig erholen.

Vendetta 

Sie rächte sich fünf Jahre später und jagte die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino in die Luft.

Mega-Prozess als Kampfansage an die mächtigste Mafia

Mafiajäger Giovanni Falcone wurde von der Cosa Nostra 1992 durch eine Bombe getötet

An die 20.000 Mitglieder soll die ’Ndrangheta weltweit haben. Wie viele es in Österreich sind, lässt sich nicht sagen. Die heimischen Ermittler konnten 2019 in Kooperation mit Italien die erste selbstständig agierende „Locale“ ausmachen. So eine Zelle ist für die kriminellen Aktivitäten der ’Ndrangheta in einem Gebiet zuständig.

Rückzugsland Österreich

Generell verlegten seit der massiven Strafverfolgung in Italien Mafiagruppierungen ihre Tätigkeiten ins Ausland. „Österreich gilt als Rückzugsland, es werden auch Delikte wie Drogenhandel in bzw. über Österreich organisiert“, sagt Silvia Kahn vom Bundeskriminalamt.

„Ein Großteil der Aktivitäten bezieht sich auf Geldwäschedelikte, 38 Mio. Euro, aufgeteilt auf verschiedene Firmen und Stiftungen, konnten 2019 sichergestellt werden.“ Auch ein Waffenhandel mit rund 900 Faustfeuerwaffen und 70 Maschinengewehren von Österreich nach Italien zur Camorra sei nachgewiesen worden.

Nicola Gratteri wurde 1958 in Gerace, im süditalienischen Kalabrien, geboren, und er sah bereits als Kind auf seinem Schulweg Leichen der ’Ndrangheta. Damals, so erzählt der Anti-Mafia-Staatsanwalt, habe er sich geschworen: „Wenn ich groß bin, möchte ich was machen, damit so etwas nicht mehr passiert.“

Er wurde Jurist und  Mafiajäger. Dass er selbst aus Kalabrien kommt, hilft ihm ungemein: "Ich kenn die *Ndrangheta fast von innen, weil ich mit Kindern von Mafia-Bossen zur Schule gegangen bin", sagte er der ARD. "Meine Spielkameraden waren diejenigen, die dann 'Ndranghetisti geworden sind. Daher weiß ich, wie diese Leute denken. Das hilft mir in meiner Arbeit."

Allein im Jahr 2018 wanderten mehr als 900 Mafiosi wegen ihm ins Gefängnis. 

Bereits seit April 1989 sind stets Personenschützer mit ihm - derzeit zwölf. 

2005 stellten Sonderermittler ein Waffen- und Sprengstofflager sicher. Sie gingen davon aus, dass das Arsenal zur Tötung von Gratteri eingesetzt hätte werden sollen. 

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