Wie die Iren unter dem neuen Lockdown leiden
Vikash Aucharry öffnete vor einem Jahr sein Friseurgeschäft im Dubliner Vorort Donabate. Dass er ab Donnerstag erneut für mehrere Wochen zusperren muss, empört ihn. „Wir haben alles Nötige getan, um unsere Kunden und uns zu schützen. Niemand darf ohne Maske herein. Wir messen bei jedem die Temperatur. Es darf immer nur ein Kunde ins Geschäft. Nichts weist darauf hin, dass Friseure bei der Verbreitung von Covid eine große Rolle spielen – und trotzdem zwingt mich die Regierung dazu, wieder zu schließen“, klagt Aucharry im KURIER-Gespräch.
Irland tritt am Donnerstag als erstes europäisches Land wieder in einen Lockdown ein (siehe rechts). Sechs Wochen lang wird die höchste von fünf Warnstufen gelten – mit weitreichenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen.
Wenig Intensivbetten
Die Zahl der Corona-Infizierten ist in den vergangenen Wochen stetig gestiegen. Im europäischen Vergleich liegt Irland zwar im Mittelfeld. Weil es aber nur wenige Intensivbetten gibt, zog die Regierung wie schon im März beim ersten Lockdown die Notbremse. Tony Murphy verkauft Bodenbeläge und Betten im Dubliner Vorort Malahide. Weil sein Geschäft als essenziell eingestuft wird, darf er so wie etwa Supermärkte und Apotheken offenhalten. Dennoch kritisiert er den neuerlichen Lockdown. „Das Virus ist ohnehin nicht zu stoppen. Dieser zweite Lockdown kostet uns wieder Unsummen.“
Besonders problematisch findet Murphy, dass alle Pubs und Restaurants wieder schließen müssen: „Jetzt werden sich die Menschen unkontrolliert auf öffentlichen Plätzen treffen, trinken und das Virus verbreiten. In den Lokalen lief das alles unter Aufsicht ab.“
Anders als beim ersten Lockdown im Frühjahr sollen Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen offen bleiben. Eltern sind erleichtert. „Kinder brauchen die Routine und den Input von außen. Ich sehe es bei meinem sechsjährigen Sohn. Er ist aufgeblüht, als die Schulen im September wieder öffneten,“ sagt die dreifache Mutter Natalia McDonagh aus Dublin. Die Lehrer sind gespalten. Viele sind froh, nicht wieder mit Online-Unterricht beginnen zu müssen. Andere fühlen sich von der Regierung einem großen Infektionsrisiko ausgesetzt.
„Das Covid-Testsystem an den Schulen ist katastrophal. Es dauert viel zu lange, bis Fälle bestätigt sind“, schimpft Lehrergewerkschafter John Boyle. „Wir fühlen uns im Stich gelassen, als wären wir Bürger zweiter Klasse.“
Weiter arbeiten müssen auch die Angestellten der Supermärkte. Diese bereiten sich auf einen besonders großen Kundenansturm in den kommenden Wochen vor, weil andere Geschäfte geschlossen sein werden. Die Kette Aldi verkündete gestern neue Lockdown-Regeln: Wenn ab Donnerstag Weihnachtsspielzeug in die Regale kommt, darf nur ein Stück pro Kunde verkauft werden. Neu angeheuerte „Store-Marshals“ sollen sicherstellen, dass alles in geordneten Bahnen abläuft.
Ganz anders ist die Situation für Michael O’Brien vom Fitnesscenter 3G in Kildare. Er muss zusperren und ist entsetzt: „Alle stecken zu Hause fest und arbeiten von dort. Das Fitnesscenter war eine der wenigen Chancen, rauszukommen und Dampf abzulassen. Die ist jetzt weg.“ O’Brien und Kollegen starteten eine Petition, um Fitnesscenter zu einem „essenziellen Service“ zu erklären. Sie sammelten bis gestern 35.000 Unterschriften. Vergebens.
„Es wird schwierig“
Ebenfalls zusperren muss die Floristin Vivienne Smith in Donabate. „Es wird schwierig, den zweiten Lockdown zu überleben.“ Immerhin fühlt sie sich auf diesen besser vorbereitet, wie sie dem KURIER schildert: „Kunden können bei uns nun online bestellen, und wir stellen Blumen zu. Hoffentlich können wir vor Weihnachten wieder aufsperren.“
Das ist der Plan von Regierungschef Micheál Martin. „Wenn wir uns sechs Wochen zusammenreißen, können wir danach ein sinnvolles Weihnachtsfest feiern“, sagte Martin in einer TV-Ansprache. Bis es einen Impfstoff gebe, werde das öffentliche Leben wohl immer wieder heruntergefahren werden müssen.
Der zweite Lockdown werde deutlich schwieriger als der erste, befürchtet die Soziologin Niamh Hourigan. „Beim ersten wussten die Menschen nicht, was auf sie zukam. Diesmal gehen wir auf den Winter zu, die Tage werden kürzer. All das wird dazu führen, dass mehr Menschen die Regeln brechen.“
Der Ökonom Dan O’Brien hält den Lockdown für einen Fehler, der auf einer falschen Annahme beruhe: „Es gibt hier eine Art Minderwertigkeitskomplex.“ Die Menschen glaubten, das irische Gesundheitssystem sei das schlechteste in Europa und Covid nicht gewachsen. Daher seien viele trotz Einschränkungen mit dem Lockdown einverstanden.
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