In Irland wackelt die letzte katholische Bastion
Soll Sterbehilfe verboten bleiben oder nicht? Diese heikle Frage werden Österreichs Verfassungsrichter demnächst weiter beraten. Auch im früher streng katholischen Irland wird das Thema derzeit heftig diskutiert. Ein vor einer Woche eingebrachter Gesetzesantrag sieht vor, dass Beihilfe zum Selbstmord unter bestimmten Umständen legalisiert werden soll. Eine Mehrheit der irischen Abgeordneten nahm den Antrag zur weiteren Begutachtung an – ein starkes Signal dafür, dass das Parlament zustimmen wird.
„Sterbehilfe ist das letzte große Thema, bei dem sich Irland noch nicht von der autoritären Umklammerung durch die katholische Kirche befreit hat“, sagt Journalist Michael Clifford vom linksliberalen Irish Examiner. Scheidungen sind in Irland seit 1995, Homo-Ehen seit 2015 und Schwangerschaftsabbrüche seit 2018 erlaubt.
„Ich will sterben“
Auch diesmal mobilisiert die Kirche gegen eine Änderung des Status quo. „Sobald Sterbehilfe prinzipiell erlaubt ist, wird es schwer, eine Grenze zu ziehen“, warnt die Bischofskonferenz unter ihrem Vorsitzenden Diarmuid Martin. „Viele Staaten, die Sterbehilfe unter bestimmen strengen Auflagen erlaubten, haben die Kriterien seither stark ausgeweitet.“ Die Befürworter der Legalisierung weisen das zurück. Der Reformvorschlag sehe vor, dass die betroffene Person unheilbar krank ist, dass zwei unabhängige Ärzte zustimmen und es zwei Wochen Bedenkfrist gibt.
Vicky Phelan aus Limerick hat Gebärmutterhalskrebs in fortgeschrittenem Stadium und ist eine der Wortführerin der Reformbewegung: „Ich will nicht sterben. Aber in naher Zukunft werde ich nicht mehr leben können. Ich will selbst entscheiden können, unter welchem Umständen ich sterbe– so wie ich Entscheidungen über mein Leben selbst getroffen habe.“
Schwere Zweifel
Gegen eine Legalisierung ist aber nicht nur die Kirche. Für Altersforscher Desmond O’Neill vom Trinity College Dublin sind Rufe nach Sterbehilfe häufig Hinweise auf andere Probleme – zum Beispiel schlechte Betreuung unheilbar Kranker. „Wenn Palliativmedizin früher zum Einsatz käme, könnten Ängste und Sorgen der Betroffenen gelindert werden“, sagt O’Neill. „Wenn Sterbehilfe legalisiert wird, führt das letztlich zu schlechterer Pflege und zu weniger Respekt gegenüber älteren Menschen.“
Vicky Phelan hält entgegen: „Manchmal funktioniert Palliativmedizin nicht. Ab einem gewissen Grad sind Schmerzen nicht mehr zu lindern. Ich will nicht, dass mich meine Kinder mich so sehen.“ Unter Irlands Juristen ist das Thema umstritten. Mary Donnelly von der juridischen Fakultät der Universität Cork ist zwar für eine Legalisierung der Sterbehilfe, fordert aber klare Grenzen. „Kein Mensch darf sich in irgendeiner Weise unter Druck fühlen, sein Leben zu beenden. Sterbehilfe darf keine Alternative zu Betreuung sein.“ Ähnlich argumentieren Vertreter von Behindertenorganisationen: Betroffene könnten befürchten, dass sich andere nicht mehr so wie früher um sie kümmern werden.
Laut Umfragen sind rund 55 Prozent der Iren für eine Legalisierung, 22 Prozent sind dagegen, der Rest ist unentschlossen.
Höchstrichter dagegen
Für Tom Curran aus Wicklow ist Sterbehilfe „kein medizinisches Thema, sondern ein Menschenrecht“. Seine unheilbar kranke Partnerin Marie Fleming ging 2013 bis zum irischen Höchstgericht, um durchzusetzen, dass Curran bei ihr Beihilfe zum Selbstmord leisten darf. Fleming litt an Multipler Sklerose und unter immer stärkeren Schmerzen. Sie fürchtete, ihr Leben nicht mehr selbst beenden zu können, wenn sie das wollte. Die Höchstrichter urteilten gegen sie. Es liege an der Politik, das Gesetz zu ändern. Fleming starb noch 2013 in den Armen ihres Partners.
Der kämpft seither dafür, dass andere nicht das Gleiche durchmachen müssen wie Fleming. „Jeder Mensch sollte selbst entscheiden dürfen, wann er sein Leben beendet.“
Nicholas Bukowec
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