Wie der Krieg in der Ukraine Boris Johnson beim Überleben hilft
"Misserfolg ist nicht tödlich; was zählt, ist der Mut weiterzumachen“. Dieses Zitat von seinem Vorbild Winston Churchill scheint sich der Überlebenskünstler Boris Johnson zu Herzen zu nehmen.
Denn mit 50 Pfund (rund 60 Euro) Bußgeld in der Partygate-Affäre um Feiern in der Downing Street während Corona-Lockdowns ist er der erste amtierende britische Premier, der für einen Gesetzesverstoß bestraft wird. Lange hatte der Ukraine-Krieg Schlagzeilen im Land dominiert, aber kurz vor Ostern steht Johnson so an der Heimatfront wieder im Kreuzfeuer der Kritik.
Von Rücktritt will er freilich nichts wissen. Er bedauere sein Verhalten und habe die Strafe bereits beglichen, sagte Johnson, 57. „Das Beste, was ich jetzt tun kann, ist, mich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren“. Das wurde als Hinweis auf den Ukraine-Krieg und die Lebenskostenkrise gesehen, die laut Regierung für Briten Priorität haben.
In Umfragen ist die Mehrheit für Rücktritt
Zwei Umfragen zeichnen allerdings ein anderes Bild. Laut YouGov meinen 57 Prozent seiner Landsleute, laut Savanta ComRes sogar 61 Prozent, Johnson solle den Hut nehmen.
Auch die Opposition fordert seinen Abgang. Ihr Drängen, das Parlament aus der Osterpause einzuberufen, weil Johnson es belogen habe und sich den Abgeordneten stellen müsse, fiel aber bei der eine Mehrheit stellenden Tory-Partei des Premiers auf taube Ohren.
Noch zum Jahreswechsel stand dem traditionell clownesken Johnson wegen Partygate das Wasser bis zum Hals; er musste 54 Briefe aus der eigenen Fraktion befürchten und damit ein Misstrauensvotum. Aber die Zeit hat so manche Parteiwunde, zumindest vorübergehend, geheilt. Denn im Zuge des Ukraine-Kriegs stilisiert sich der Premier, so auch beim Besuch am Samstag bei Präsident Wolodimir Selenskij in Kiew, durchaus erfolgreich als Staatsmann auf der Weltbühne. Das, und das Fehlen starker Alternativen, beschert ihm derzeit Rückendeckung von vielen Parteikollegen.
Auch Meinungsforscher sind sich nicht sicher
Meinungsforscher Chris Hopkins von Savanta ComRes betont auch, dass im Jänner mehr Briten, nämlich 69 Prozent, wegen Partygate Johnsons Kopf gefordert hatten. „Das könnte seine Abgeordneten zweimal überlegen lassen, ob sie Misstrauensbriefe schreiben“, meint er. „Und es deutet an, dass bei Partygate das Schlimmste überstanden sein könnte, obwohl ich nicht sicher bin, dass das wirklich stimmt“.
Tatsächlich muss sich Johnson nächste Woche auf Salven an Kritik im Parlament vorbereiten; weitere Geldstrafen könnten drohen, und der vollständige Partygate-Untersuchungsbericht steht noch aus. Ewig verschanzen wird sich Johnson also nicht können.
„Es wird die Zeit kommen, wenn sich der Premier damit auseinandersetzen wird müssen, aber jetzt ist nicht der richtige Moment“, meint auch Roger Gale, der Ende 2021 einen Brief gegen Johnson verfasste, mit Hinweis auf die Ukraine. Er „glaube aber nicht“, dass Johnson die Tories als Feldherr in die nächste Parlamentswahl führen werde.
Der Schutzwall seiner Partei begann am Mittwoch allerdings einen ersten Riss zu zeigen. „Ich denke nicht, dass ein Premier überleben kann oder soll, wenn er die von ihm selbst gesetzten Regeln bricht“, forderte der Mandatar Nigel Mills Johnson auf, die weiße Fahne zu schwenken.
"Gesetzgeber kann kein Gesetzesbrecher sein"
Auch britische Medien positionierten sich im Partygate-Stellungskrieg nicht immer nach politischer Ausrichtung. „Geführt von Lügnern und Gesetzesbrechern„ sei das Land, titelte zwar der Daily Mirror. Und die Daily Mail verteidigte den Premier: „Wissen sie nicht, dass es einen Krieg gibt?“ Aber ein Tory im House of Lords schrieb in der konservativen Times: „Gesetzgeber kann kein Gesetzesbrecher sein,“ also müsse Johnson gehen. Und auch einer der Kommentatoren des Telegraphs meinte: „Er wird auf keinen Fall das Ehrenhafte tun, aber Boris muss gehen“.
Experten sehen nun die englischen Kommunalwahlen am 5. Mai als wichtigen Stimmungstest für die Tories und Johnson. Was der Urnengang für seine politische Zukunft bedeutet, erklärt der Guardian so: „Viele konservative Abgeordnete warten auf das Urteil der Öffentlichkeit bei den Wahlen“.
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