Wie der Brexit die EU-Verteidigung schwächt
In der Debatte über den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union dreht sich meist alles um die Auswirkungen auf die Wirtschaft zu beiden Seiten den Ärmelkanals. Hier ist auch der Grad der Verflechtung viel größer als im Sicherheits- und Verteidigungsbereich, aber dennoch verändern sich hier für die EU viele Parameter. Denn: Großbritannien ist Atommacht, ständiges Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und Vetomacht sowie eine „Brücke“ zwischen Europa und den USA.
Der KURIER baten Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktforschung (IFK) an der Landesverteidigungsakademie, um eine Analyse der Auswirkungen des Brexit auf die Sicherheit der EU.
Was macht Großbritanniens Sonderrolle in der EU aus?
„Als frühere Welt- und Kolonialmacht hat London eine geostrategische Kultur, die es in keiner anderen EU-Hauptstadt außer in Paris gibt. Die haben die Briten in die EU eingebracht, was ihr gutgetan hat“, sagt Feichtinger. „Auch die Interventionskultur – die Fähigkeit und Bereitschaft einzugreifen, wenn es notwendig ist – haben die Briten den Europäern nähergebracht. Der muss man nicht folgen, aber man soll sie verstehen. Diese Werte lassen sich nicht messen, aber es wird was fehlen.“
Was wird die EU nach dem Brexit schmerzlich vermissen?
Nach dem Brexit besitzt nur noch ein Land in der EU Atomwaffen: Frankreich. Auch im UN-Sicherheitsrat verfügt künftig mit den Franzosen nur mehr ein EU-Staat statt bisher zwei über das Vetorecht. „Großbritannien hat allerdings nie ausgesprochen, dass es sein Veto im Interesse der EU einsetzen würde. Das muss man auch nicht, denn allein das Potenzial dafür ist schon wichtig“, sagt Feichtinger. „In Zeiten, in denen es rauer zugeht, wird das immer bedeutender – und in solchen befinden wir uns.“
Welche Folgen hat die EU in der Kooperation mit den USA zu befürchten?
Das Verhältnis der EU zu den USA bzw. die Kommunikation zwischen ihnen könnte noch schwieriger werden. Die Briten fungieren bislang als Bindeglied zwischen EU und USA; das ist eine ganz wesentliche Funktion der Briten in der EU. Großbritannien spielt eine große Rolle dabei, die Position und Stimmungslage der EU den Amerikanern näherzubringen – und umgekehrt. „Briten und Amerikaner eint die gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte und in großem Maße auch die gemeinsame Weltsicht.“ Oder anders gesagt: „Die ticken einfach gleich und deshalb verstehen sie einander auch so gut.“ Vor allem im nachrichtendienstlichen Austausch spielt das eine besondere Rolle.
Was verliert die EU im Geheimdienstbereich?
Es gibt einen europäischen Nachrichtendienst, der allerdings nur die Informationen der EU-Mitgliedsstaaten zusammenführt, sie analysiert, beurteilt und Lageberichte erstellt. „Je besser die Informationen der Staaten sind, umso besser sind ergo die Lageberichte“, erklärt Feichtinger. Das gilt für die Innere Sicherheit, den politischen, polizeilichen Bereich und die Justiz genauso wie für den militärischen Bereich. Das Wissen, die Erfahrung und auch der gute Draht der britischen Nachrichtendienste zu den US-Geheimdiensten sind hier sehr gefragt. „Gerade in Zeiten, in denen man annimmt, dass die hybriden Bedrohungen zunehmen und man dschihadistische, extremistische und terroristische Bedrohungen als Hauptbedrohungen einstuft, ist der nachrichtendienstliche Austausch der EU mit Großbritannien enorm wichtig.“
Es heißt immer wieder, die Briten werden sich ihr Know-how hier teuer abgelten lassen. Darüber will Feichtinger nicht spekulieren: „Fast alles im zivilen wie auch militärischen Bereich der Nachrichtendienste kann auch in Zukunft funktionieren, wenn man sich darauf einigt.“
Was bedeutet der Brexit für die militärische Zusammenarbeit in der EU?
Im EU-Militärstab wird Großbritannien, „die klare Nummer eins in der EU mit seiner Erfahrung und seinem Know-how schmerzlich fehlen“. Mit der NATO hat die EU eine enge Kooperation vereinbart: Auf Basis des „Berlin plus-Abkommens kann die EU um Unterstützung der NATO ansuchen. Der Kommandeur der EU-Operation ist dann der stellvertretende NATO-Oberbefehlshaber in Europa – und das ist stets ein Brite. Wie das künftig geregelt sein wird, bleibt abzuwarten.
Im maritimen Bereich ist Großbritannien die Nummer eins in der EU. Im Rüstungssektor ist das Vereinigte Königreich ebenfalls weit vorn. Viel Geld, nämlich 4,5 Milliarden Euro, haben die Briten in die EDA (koordiniert die Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern) 2016 gesteckt. Das entspricht einem Anteil von 16 Prozent. Was den Briten wirklich wehtut ist ihr Ausschluss vom europäischen Satellitennavigationssystem Galileo, in das sie 1,2 Milliarden britische Pfund (derzeit knapp 1,4 Milliarden Euro) gesteckt haben. Galileo macht die Europäer bei der globalen Positionsbestimmung unabhängig vom GPS, das die USA entwickelt haben. Auch Russland und China besitzen eigene Satellitennavigationssysteme.
Generell stecken die Briten deutlich mehr als andere EU-Staaten in die Verteidigung – etwa ein Viertel der Gesamtsumme der EU-28. Die personelle Beteiligung der Briten an EU-Operationen und Missionen war hingegen eher bescheiden (siehe Grafik unten). Aber Großbritannien stellte in Northwood (Großraum London) das operative Hauptquartier für EU-Militäroperationen. Es wurde bereits von dort abgezogen, Spanien (für Landeinsätze) und Frankreich (für Marineoperationen) haben die Aufgaben übernommen.
Welche militärischen Überseestandorte hat Großbritannien?
Die britischen Streitkräfte sind rund um den Globus mit einer Reihe von Stützpunkten gut aufgestellt, was im Ringen um die Neuverteilung der Macht in der Welt von großer Bedeutung ist. Die 15 Standorte des britischen Militärs: Ascension Island (im Südatlantik), Bahrain, Belize, Brunei, Chagos-Archipel (im Indischen Ozean), Deutschland, Falkland Inseln, Gibraltar, Kanada, Katar, Kenia, Nepal, Oman, Singapur und Zypern.
Bringt der Brexit einen Imageverlust mit sich?
Die EU minus Großbritannien wird in internationalen Organisationen an Gewicht verlieren, aber auch Großbritannien droht ein Gesichtsverlust, sagt Feichtinger: „Dabei geht es vor allem um die Wahrnehmung und das Image der EU wie auch des Königreichs, wenn man sich in weiten Teilen der Welt fragt: Was ist da los in der EU, wenn die Briten rausgehen?“ Aber auch Großbritanniens Image leidet unter dem internationalen Eindruck, dass der Brexit im politischen Chaos enden könnte.
Gibt es aus militärischer Sicht auch einen Vorteil für die EU?
Die Briten wollten unbedingt vermeiden, dass die EU eine eigene Verteidigungsstruktur parallel zur NATO aufbaut und sich damit auch von den Amerikanern abkoppelt. „Der Weg in Richtung Verteidigungsunion wäre nun theoretisch frei, aber de facto sind manche EU-Staaten sehr zögerlich“, sagt Feichtinger. Dabei müsse sich die EU darüber klar werden, welche Rolle sie in der Welt spielen will, bzw. was sie tun muss, um zwischen den USA, Russland und China nicht aufgerieben zu werden.
Feichtingers Fazit: "Es hängt weniger vom Brexit, als vom politischen Willen der verbleibenden EU-27 ab, ob Europa durch den Schritt der Briten verliert oder gar gewinnt."
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