Ihre Rechte zurückholen, so formuliert die heute 45-Jährige den Gedanken, der für sie zum Lebensprinzip geworden ist. Sie holte sie sich zurück, „von meinen männlichen Verwandten, meinem Vater und dann von der Gesellschaft“. Und dieses Recht fordert die seit Langem in den USA lebende Aktivistin nicht nur für sich, sondern für alle Frauen des Iran.
Das Kopftuch wurde zum Leitmotiv ihres Kampfes und mit einem Aufstand gegen diesen Hijab feierte Masih Alinejad ihren ersten Triumph im Kampf gegen das Mullah-Regime im Iran. Über Facebook startete sie 2014 die Aktion „My stealthy freedom“, also „meine geheime Freiheit“. Dazu veröffentlichte die Journalistin ein Foto, das sie 2009 in Nordiran ohne Kopftuch beim Autofahren zeigte. „Ich wette, viele Frauen besitzen solche Fotos heimlicher Freiheit – dies ist meines auf dem Weg nach Norden“, schrieb sie noch dazu. Es war der Startschuss für eine kleine Sensation.
Zehntausende Iranerinnen folgten ihrem Beispiel, legten ihr Kopftuch ab und posteten die Fotos. Es entstand eine friedliche Massenbewegung, gegen die das Regime in Teheran wehrlos war – und umso erbitterter wollte es sich an Alinejad rächen.
2009 musste sie das Land verlassen. Da hatte sie als freie Journalistin einen gigantischen Korruptionsskandal im unmittelbaren Umfeld der religiösen Führung des Landes aufgedeckt. Als sie
die ersten unmissverständlichen Gewaltandrohungen erreichten, wusste sie, dass sie im Iran ihre Arbeit nicht fortsetzen konnte. Sie ging ins Exil, nach London und in die USA. Doch im Iran, so erzählt sie, sei sie eigentlich trotzdem jeden Tag. Jeden Tag würde sie Menschen dort interviewen.
Meist sind es Frauen, die sie in ihren Berichten auf sozialen Medien wie Facebook und Twitter oder in iranischen Exilmedien wie Radio Farda zu Wort kommen lässt. Die politisch heikelste Gruppe waren die Mütter jener jungen Menschen, die bei den Protesten gegen das Regime im November 2019 ums Leben gekommen waren. 1.500 Opfer schätzten Menschenrechtsorganisationen. Alinejad ließ deren Mütter online über ihre Wut und Trauer sprechen und darüber, wie es ist, unter einem Regime zu leben, das diese Toten als ausländische Agenten verunglimpft oder ihren Tod schlicht vertuscht.
Seither wird sie auch im Ausland von diesem Regime verfolgt. Erst vor einem Jahr versuchte ein Team iranischer Agenten, sie in New York zu entführen. Der Plan wurde vom FBI vereitelt und später von der renommierten Zeitschrift New Yorker aufgedeckt. Auch ihre Familie, die im Iran zurückgeblieben ist, steht unter wachsendem Druck der Behörden. Mehrere Mitglieder wurden verhaftet und unter zweifelhaften Anschuldigungen ins Gefängnis gesteckt. Bruder Alireza saß zwei Jahre in Haft.
Die Journalistin ist trotzdem überzeugt davon, trotz all dieser Widrigkeiten ihren Kampf fortzusetzen. Ein „müdes, depressives hoffnungsloses Volk“, erzählt sie in einem Bericht der ARD, „das ist ein Geschenk für einen Diktator“. Erst wenn man seine Trauer und sein Leid „in Wut und in eine Bewegung“ verwandle, wenn man seine Stimme finde, fange man an sich zu wehren. Und genau diese Stimme will sie für die Frauen ihrer einstigen Heimat sein, nicht mehr und nicht weniger. Dass das Regime so viel Energie in den Kampf gegen sie und ihre Arbeit investiert, kommentiert sie mit bitterer Ironie: „Ich wiege nur 45 Kilo und sie haben Angst vor mir.“
Masih lässt sich auch von geplanten Entführungen nicht abschrecken. Sie nützt weiterhin alle Mittel, um ihren Kampf gegen das Regime in Teheran fortzusetzen. Und das Kopftuch, der Hijab, bleibt das symbolträchtigste Ziel ihrer Angriffe. Nicht umsonst heißt ihre vor einem Jahr auch auf Deutsch veröffentlichte Autobiografie „Der Wind in meinem Haar“.
„Wenn du eine iranische Frau bist“, erzählt sie in einem Bericht der ARD, „dann weißt du, was der Wind in meinem Haar bedeutet – und dass es ein ganz einfaches Gefühl ist, von dem du aber ausgeschlossen bist.“
Dass gerade westliche Feministinnen den Hijab als Ausdruck der Emanzipation muslimischer Frauen verstehen, dass es Bewegungen gibt, die mit dem Slogan „Freiheit ist im Hijab“ auch in Europa für sich werben: das alles kann Masih Alinejad nicht nur nicht verstehen. Es macht sie wütend: „Wenn sie glauben, dass Freiheit bedeutet, einen Hijab zu tragen, lade ich sie ein, im Iran unter der Scharia zu leben und mir zu berichten, wie frei sie sich fühlen.“
Dieses Porträt erschien in der von der Künstlerin Soli Kiani gestalteten KURIER-Ausgabe über Frauen-, Menschenrechte und Pressefreiheit.
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