Nach ihrer Entlassung war nämlich vor allem Nadja Tolokonnikowa in der Welt unterwegs, um davon zu erzählen, was Putin ihr angetan hat. 14 Monate saß sie im Lager, schuftete jeden Tag 18 Stunden, das Pensum war absurd: Sie musste täglich 320 Jacken nähen. Nur alle sechs Wochen gab es einen Tag Pause, dazwischen Gewalt, durch Wächter, durch andere Insassen. Und das Schlimmste: keinen Kontakt zu ihrer damals vierjährigen Tochter.
Ein Hungerstreik war, wie sie später sagte, der letzte Ausweg. Er zwang Putin zum Handeln: Die menschenfeindlichen Bedingungen wurden zumindest ein wenig abgeschwächt, der für ihr Qualen Verantwortliche wurde inhaftiert. „Ich war bereit zu sterben“, sagte die Künstlerin später im Guardian. „Diktatoren sind wie Gefängniswärter. Sie behandeln Freundlichkeit als Schwäche.“
Das wollte sie auch dem Westen beibringen. Sie sagte es dem britischen Parlament, dem US-Senat, nur geändert am Umgang mit Putin hat das nichts. „Die Weltgemeinschaft war so selbstgefällig“, sagt sie. Jeder habe Putins Politik verurteilt, die Repressionen kritisiert, aber zeitgleich weiter mit ihm Geschäfte gemacht. „Heuchelei, basierend auf Gier, ist der eine Grund dafür. Der andere ist Dummheit.“
Es wundert einen wenig, dass Tolokonnikowa auch heute, mit 32, noch immer gegen Putin anschreit. „Fuck Putin! Ich hoffe, er stirbt bald“, kreischt sie jetzt in New York von der Bühne, das Outfit ist so dramatisch wie damals. Seit der Kremlchef seine Soldaten auf die Ukraine gehetzt hat, wieder mit Unterstützung des Moskauer Patriarchen, ist sie noch ein wenig lauter geworden, und auch findiger. Indem sie Stücke der ukrainischen Flagge per NFT verkaufte, sammelte sie binnen fünf Tagen ganze 7,1 Millionen Dollar. Geld, das direkt an Kiew ging. „Alles, was ich mache, tue ich um Putin am Arsch zu gehen“, sagt sie.
Als Agentin gebrandmarkt
Auch gegen Putins mediale Gleichschaltung agiert sie, wenn auch nur im Hintergrund. Nach ihrer Entlassung gründete sie mit Kollegin Marija Aljochina das Portal Mediazona, ihr mittlerweile geschiedener Mann Petr Werzilow ist dort Herausgeber. Seit Beginn des Krieges ist Mediazona eines der wenigen russischen Medien, die ohne Zensur über den Krieg und die Verbrechen der russischen Soldaten berichten.
Tolokonnikowa und ihre Verbündeten wurden dafür als „ausländische Agenten“ punziert, die Website gesperrt, Aljochina wird sogar steckbrieflich gesucht, sie soll das Land verlassen haben. Tolokonnikowa schüchtert das wenig ein. „Wenn man mit einem Diktator kämpft, muss man zeigen, dass man bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen.“ Darum, sagt sie, werde die Ukraine auch gewinnen. „Sie haben den Willen bis zum Ende zu kämpfen. Die russische Armee nicht.“
Dieses Porträt erschien in der von der Künstlerin Soli Kiani gestalteten KURIER-Ausgabe über Frauen-, Menschenrechte und Pressefreiheit.
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