Welche Wege zum Ende des Sterbens in der Ukraine führen
Wie kommt man zu einem Frieden in der Ukraine? Der KURIER analysiert mit Martin Sajdik, Ex-OSZE-Missionschef in der Ukraine, und dem deutschen Osteuropa-Experten Hans Henning-Schröder.
Ein Sieg Russlands
Russland hat – da sind sich Spitzendiplomat Sajdik und Politikwissenschaftler Schröder einig – bisher nie klar gemacht, wie dieser Sieg aussehen könnte. Für den Osteuropa-Experten liegt das an der Mischung aus „Inkompetenz und Größenwahn“, die in Moskau herrsche. Dort führe man ja einen Krieg gegen den ganzen Westen, daher sei nicht klar, wo man halt machen werde. Die Ziele würden sich je nach Kriegslage ändern. Das Ziel Putins, schon vor der Invasion, war die politische Kontrolle über die Ukraine, also ein Marionettenregime in Kiew. Das ist derzeit unerreichbar entfernt.
Der Krieg hat für Sajdik die antirussische Stimmung in der Ukraine massiv verstärkt. Damit aber sei tatsächliche Kontrolle über den Großteil der Ukraine undenkbar. Russland hat laut Schröder auch nicht „die wirtschaftliche Stärke, um den Konflikt mit USA und EU auf Dauer durchzustehen“. Die dauerhafte Besetzung großer Teile der Ostukraine gilt als militärisch erreichbares Ziel, allerdings könne das Putin zu Hause nur mit Mühe als Sieg verkaufen. Denn der Schutz der Ostukrainer vor ukrainischen „Neonazis“ sei ein ebenfalls sehr nebuloses Ziel für einen Krieg.
Sieg der Ukraine - Befreiung des ganzen Landes
Dass der ukrainische Präsident Selenskij ständig die Rückeroberung der gesamten Ukraine, inklusive der Halbinsel Krim, als Ziel nennt, ist nach Ansicht Schröders eine politische Verpflichtung: „Dieses Ziel muss er so nennen“. Militärisch aber scheint dieses Ziel derzeit unerreichbar, auch weil die Unterstützung des Westens in Wahrheit bei Weitem nicht ausreicht, um dieses Ziel zu erreichen. Doch was einen möglichen Kompromiss anbelangt, ist auch Selenskijs Spielraum begrenzt. Macht er zu große Zugeständnisse, gerät er in Kiew unter Druck. Sollte eine militärische Rückeroberung des gesamten Ostens der Ukraine gelingen, würde das für Sajdik trotzdem eine riesige politische Herausforderung für die Regierung in Kiew bedeuten. Nach den Kriegsjahren und der Herrschaft der Russen oder ihrer Handlanger-Regime werde es sehr schwer werden, diese Gebiete wieder in die Ukraine zu integrieren. Für die Krim werde ja ohnehin seit Längerem eine Lösung debattiert, ähnlich der, wie sie einst für Hongkong getroffen wurde – eine Verpachtung an Russland, entweder der ganzen Halbinsel oder zumindest des Hafens Sewastopol.
Blutiger Stillstand, oder Eiszeit
Sollte sich der Krieg früher oder später festfahren, könnten sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand einigen, entlang einer ausverhandelten Linie. Für Martin Sajdik, der selbst über Jahre die OSZE-Mission in der umkämpften Ostukraine leitete, ist das eine Herkulesaufgabe, derer sich auch der Westen erst bewusst werden muss. Sollte, wie schon mehrfach angedacht, die UNO eine solche Mission durchführen, wären dafür laut Sajdik Zehntausende Soldaten notwendig.
Allein die Länge der zu überwachenden Frontlinie mache das gigantische Ausmaß und auch die gigantischen Kosten eines solchen Einsatzes deutlich. Das sei mit der Entsendung von ein paar Hundert Soldaten aus Österreich nicht getan. Ohne eine Beteiligung Chinas und Indiens wäre ein UN-Einsatz kaum zu bewältigen. Ohne Friedenssicherung aber wäre ein Waffenstillstand nicht zu halten und würde sich in einen endlosen blutigen Stillstand verwandeln. Ohne vertrauensbildende Maßnahmen Moskaus gegenüber der Ukraine und dem Westen seien auch Verhandlungen darüber schwer möglich – und die sei Putin, so Sajdik, bisher schuldig geblieben.
Friedenslösung für die Ukraine und Europa
Die Suche nach einer Friedenslösung, so meint Schröder, könne erst beginnen, „wenn man in Moskau sagt, es reicht“, weil also eine Fortführung des Krieges militärisch keinen Sinn mehr ergebe. Das sei wohl auch das Ziel, das der Westen mit seiner derzeitigen militärischen Unterstützung anstrebe: „Man will dem Aggressor Russland die Grenzen aufzeigen und klar machen, dass die politische Ordnung in Europa auf der Basis internationalen Rechts basiert – und dieses Recht hat Russland verletzt.“
Erst wenn das auch in Moskau klar verstanden worden sei, dann könne man „eine neue Friedensordnung für Europa schaffen, die auf klaren Regeln beruht“. Bei der Gestaltung dieser Friedensordnung sei es aber unbedingt notwendig, dass Russland als gleichberechtigter Verhandlungspartner mit am Tisch sitze. Sajdik betont aber, dass Moskau derzeit die Voraussetzungen für solche Verhandlungen nicht erfülle, da man nicht bereit sei, vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen. Moskau beklagt wiederum, dass schon die Friedensabkommen für die Ostukraine im Jahr 2015 nie „buchstabengetreu“umgesetzt worden seien.
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