Waterloo: Napoleons größte Niederlage wird jährlich nachgespielt
„Wir gewinnen immer“, sagt Jannis und zupft seine selber gebastelte Flagge zurecht. Die Geschichte gibt dem jungen Niederländer aus Enschede recht: Genau hier, in den blühenden Feldern und Wiesen rund um die belgische Kleinstadt Waterloo stand vor exakt 207 Jahren das Zweite holländische Grenadier-Bataillon auf der Seite der Sieger. Zusammen mit über 200.000 Soldaten der Armee der Alliierten rangen sie Napoleon nieder.
Der Kaiser von Frankreich, der dort alles auf eine Karte gesetzt hatte, verlor alles. Waterloo, das ist seither ein Sinnbild die totale Niederlage.
Jedes Mal, wenn die historische Schlacht detailgetreu nachgespielt wird, sind Jannis und seine Freunde mit dabei. Über 1.500 Laiendarsteller sind heuer angereist. Ihre Uniformen haben sie selbst zusammengetragen, nicht immer ganz historisch korrekt.
„Natürlich ist das kein originalgetreues Gewehr mit Bajonett“, brummt ein Holländer in Offiziersuniform. „Dann wäre es doch im Museum. Und ich bin auch kein Schauspieler – wir erleben hier ein historisches Ereignis noch einmal, so wie es wirklich war.“
Husaren und Generäle
Es ist nicht die Faszination für eine extrem grausame Schlacht, sondern für die Geschichte, die alle hier vereint: Pensionisten, IT-Experten, Juweliere, Beamte, Tischler, Köche, Männer, Frauen: Zwei Tage lang schlüpfen sie als Laiendarsteller in ihre liebevoll gepflegten Kostüme, verwandeln sich in Husaren, Marketenderinnen oder Generäle.
Kleinstadt
20 Autominuten südlich von Brüssel liegt die belgische Kleinstadt Waterloo. Rundherum, in den Wiesen und Feldern, tobte im Juni 1815 die Schlacht, die Napoleons Untergang besiegelte.
335.000 Soldaten standen einander gegenüber – 125.000 Mann der französischen Armee und 210.000 Soldaten der Alliierten unter Führung des Herzogs von Wellington. Am Ende des Gemetzels waren an die 40.000 Soldaten tot oderverwundet.
Weltberühmt gemacht hat Waterloo auch die schwedische Popgruppe Abba. 1974 dominierte ihr Song monatelang lang die Charts. Besungen wird eine verheerende Niederlage – in der Liebe.
Da wird unter lauten Befehlen das Anlegen der Gewehre geübt. Soldaten marschieren in Kolonnen auf, stellen sich in Linie, feuern Musketen und Kanonen ab, rennen mit Gebrüll durch die Felder.
Gräulicher Brei
Pascal hingegen hat sich in den Schatten seines Zelts am Rande des Schlachtfelds zurückgezogen. Mit seinen Hämmern, Sägen und sonstigem Werkzeug gehöre er zur unverzichtbaren Logistik der französischen Armee, meint der Pensionist schmunzelnd. Seine Frau kocht derweil zwei Zelte weiter einen Brei von seltsam gräulicher Farbe, der vermutlich auch 1815 wenige Soldatengaumen erquickt haben dürfte.
Aus dem Zeltlager der britischen Soldaten unter der Führung des Herzogs von Wellington hingegen ist lautes Spanisch zu hören. Haben denn Andalusier aufseiten der Briten gekämpft? Jorge, der mit größter Freude einen Schottenrock trägt, grinst breit. „Wir wollten einfach bei diesem Ereignis dabei sein, egal auf welcher Seite.“
Napoleon, ein Amerikaner
Auch kurios: Napoleon ist heute ein US-Amerikaner. Derselbe stechende Blick, dieselbe Adlernase und sogar dieselben 168 Zentimeter haben Mark Schneider zu einem der profiliertesten Darsteller des Korsen gemacht.
Als ausgebildeter Historiker weiß der passionierte Napoleon-Darsteller zu überzeugen. Die Ähnlichkeit des Mannes aus Virginia mit dem „Empereur“ ist frappant, besonders wenn Schneider seinen schwarzen Zweispitzhut aufsetzt, so wie ihn einst sein historischer Vorgänger trug.
Der Napoleon des Jahres 2022 braucht die Kopfbedeckung dringend: Glühend heiße 35 Grad sind an diesem Wochenende angesagt. Eine Hitzewelle quält die Laiendarsteller. Die derben Uniformstoffe von damals zwicken. Sonnenschirme sind verpönt – denn vom Pulverdampf bis zu den Zelten der Soldaten soll alles möglichst echt nach den Verhältnissen der historischen Schlacht aussehen.
Verheerende Verluste
Dabei war an jenem geschichtsträchtigen 18. Juni 1815 alles anders: Schwere Regenschauer hatten die Felder südlich von Waterloo in Morast verwandelt. Napoleons schwere Artillerie steckte lange im Schlamm fest.
Acht Stunden lang währte das Gemetzel zwischen den 125.000 Mann der sogenannten Nordarmee Napoleons auf der einen und den rund 210.000 Soldaten der Allianz ihrer Gegner – Briten, Preußen und Niederländer – auf der anderen Seite.
Am Ende waren 40.000 Männer tot, vermisst oder verletzt, 10.000 verendete Pferde lagen auf den Feldern. Napoleon floh, musste abdanken und wurde bis zu seinem Tod auf die Insel St. Helena verbannt.
Wenig Wunder, dass Frankreich auch lange nach dieser historischen Entscheidungsschlacht mit Nachstellungen wenig Freude hatte. Doch in Belgien, das erst 15 Jahre nach dem großen Sterben in Waterloo gegründet wurde, zelebriert man das Hauen, Schießen und Stechen von damals jedes Jahr im Juni aufs Neue.
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