250. Geburtstag: Wer Napoleon war und wie er Europa verändert hat
Weder unermüdlicher Kriegstreiber, noch unersättlicher Landräuber – „sein Riesenreich ist das Produkt von Gelegenheiten, die er konsequent nutzt“. So sieht der Napoleon-Experte Günther Müchler den Kaiser der Franzosen. Der deutsche Historiker und Journalist hat eine Biografie über den großen Korsen geschrieben und erzählt im Interview darüber.
KURIER: Was hat ihn geprägt?
Müchler: Die Revolution! Sowohl philosophisch als auch politisch. Er wurde Sekretär von Jakobinerclubs, stellte sich also auf die Seite der Revolutonäre, billigte die Forderungen nach Gleichheit und, dass es keinen Platz mehr für das Königtum gab. Er ist der Sohn der Revolution und wächst in ihrem Geiste auf. Die Revolutionäre liebte er weniger.
Wie passt es da ins Bild, dass er sich später zum Kaiser erhob?
Das war kein radikaler Bruch.Das Kaisertum Napoleons unterscheidet sich von der Monarchie, wie man sie bis dahin gekannt hat. Das wird schon in der Amtsbezeichnung deutlich. Er ist nicht der französische Kaiser, sondern der Kaiser der Franzosen. Das deutet auf die Quelle der Legitimität hin – das Volk.
Er war also Demokrat?
Demokratie ist ein schwieriges Wort: Viele Dinge spielten damals noch keine Rolle – die demokratischen Ausprägungen sind noch schwach, das Wahlrecht war eines von reichen Männern. Aber ja, das Volk verleiht seit 1789, daran gibt es keinen Zweifel, die Macht. Das sieht auch Napoleon so: Er lässt sich jeden wichtigen Schritt seiner Karriere durch Plebiszite bestätigen. Er ruft das Volk an und stellt Fragen: Soll der Konsul Napoleon Konsul auf Lebenszeit werden? Soll er Kaiser werden? Das Volk muss sein Zustimmung geben.
Sie schrieben auch, dass er als Gesetzgeber Frankreich zum modernsten Staat Europas gemacht hat...
... absolut! Er schafft die Prügelstrafe beim Militär ab, führt Geschworenen-Gerichte ein, setzt Zivilehe und Religionsfreiheit durch.
Wie war er?
Napoleon war ein außerordentlicher Intellekt, zweifellos ein Genie. Sein Verstand war extraordinär, seine Arbeitsdisziplin auch. Sich Dinge zu merken dito – er war ein sehr intellektueller, kluger Mann, zudem außerordentlich durchsetzungsfähig. Und er war in der Lage eine Fülle von Dinge gleichzeitig zu bedenken, vorurteilsfrei. Er trieb Dinge voran, die damals sehr modern waren. Beispielsweise war er ein leidenschaftlicher Anhänger des Impfens, das damals gerade aufkam. Er versuchte es populär zu machen, indem er seinen neugeborenen Sohn öffentlich impfen ließ.
Charmant war er außerdem. Hätten wir beide gerne einen Abend mit ihm verbracht?
Sie vielleicht mehr als ich! Er war durchaus aufgeschlossen für Frauen, obwohl er nicht gerade ein brillanter Liebhaber gewesen sein soll.
Woher, bitte, wissen Sie das?
Viele Zeitgenossen haben Erinnerungsliteratur hinterlassen und sich auch über Napoleon und die Frauen geäußert. Daraus kann man das destillieren.
Die Frauen haben sich aber nicht beschwert?
Nein, die Frauen haben keine amouröse Abenteuer geschildert. Napoleon dürfte - wie auf dem Schlachtfeld auch - auf schnellen Vollzug aus gewesen sein.
Wie hätte sich Europa entwickelt, hätte es ihn nicht gegeben?
Er hat besonders für die Entwicklung Deutschlands eine große Bedeutung gehabt – Napoleon hat das Land neu geordnet. Überall dort, wohin er vordrang, hatte er das moderne Frankreich mit im Gepäck. Er hat den Code civil exportiert. Die Menschen nahmen ihn begeistert an. Und so war es mit vielen anderen Dingen. Überall, wo Napoleon Gestaltungsfreiheit hatte, wurde Religionsfreiheit eingeführt. Das sind Reformen, die sich bis weit über das Ende Napoleons erhalten haben, weil sie in die Zukunft wiesen. Er hat zum Beispiel Deutschland einen ungeheuren Modernitätsschub gegeben. Die napoleonischen Gebietsreformen werden auch durch den Wiener Kongress nicht zurück genommen. Man konnte an dieser Realität nicht mehr vorbei gehen.
1,5 bis 3,5 Millionen Tote brachten die Feldzüge Napoleon I. laut Schätzungen. Von 1792 bis 1815 war Europa fast ununterbrochen Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen Frankreich und Bündnissen anderer Mächte.
Und der private Napoleon?
Was Napoleon vollkommen gefehlt hat, war Muße. Auch die Freude am Gewonnenen. Das ist auch mit der Grund, warum er das Gewonnene nicht hat halten können. Er war rastlos. Glücklich im bürgerlichen Sinne ist er nur 1800 bis 1802, maximal 1804. Da hatte er eine Regentschaft der Jugend aufgebaut, war noch in der Lage zuzuhören, hat in Malmaison Theater spielen lassen, war entspannt und mit sich rundum zufrieden. Aber er hatte keine Hobbies.
Er war ein besessener Leser und hörte auch Musik, wusste über die Klassische Literatur Bescheid, hatte aber keine klassische Ausbildung genossen und das Bedürfnis, das, was ihn an Wissen fehlte, nachzuholen. Bei ihm ist lesen Arbeit.
1 Meter 68 maß einer der größten Feldherren aller Zeiten. Das scheint heute nicht allzu viel, lag damals aber über der Durchschnittsgröße. Dass Napoleon angeblich klein war, ist der englischen Propaganda geschuldet, die ihn in Karikaturen immer schrumpfte.
War er je wirklich verliebt?
Ja, ja, er war Josephine verfallen. Sie war nicht nur sechs Jahre älter sondern auch liebeserfahren, hatte eine wichtige Rolle in dieser ungeheuren Lust-Erregung am Ende der Terror-Zeit der Französischen Revolution: Da war Ausschweifung angesagt – aus Freude, überlebt zu haben. Josephine saß auch in der Todeszelle. Sie war eine Ikone der Revolution. Napoleon ist ihr eine Zeit lang verfallen – bis er bemerkt, dass sie ihn ständig betrügt. Trotzdem fiel es ihm außerordentlich schwer, sich von ihr zu trennen. Sein Umfeld drängte ihn bereits jahrelang.
Und dann kam Marie-Louise von Österreich...
Da darf man das erotische Band zwischen den beiden nicht unterschätzen. Es ist keine richtige Liebe, aber ihm gefällt die Kindfrau, die ihn sexuell befriedigte.
Buchtipp: Günter Müchler, "Napoleon. Revolutionär auf dem Kaiserthron", Theiss, 24 €
Chronologie:
- Sieben Geschwister hatte der zweite Sohn von Carlo Buonaparte und Letizia Ramolino, der am 15. August 1769 auf der Insel Korsika geboren wurde. Die Buonapartes gehörten dem niederen Adel an.
- Mit 16 Jahren war Napoleon Leutnant der Artillerie.
- Vier Jahre später beginnt die Französische Revolution
Marie-Josèphe Rose Tascher de la Pagerie, die erste Ehefrau
Napoleon, der Kaiser der Franzosen
Marie-Louise, die zweite Ehefrau mit dem Thronfolger
- Napoleon schloss sich 1793 der herrschenden revolutionären Partei der Jakobiner unter Maximilien de Robespierre an. Zwei Jahre später wurde er mit der Niederschlagung des royalistischen Aufstands in Paris beauftragt. Nach dem Sieg erhielt er den Oberbefehl über die Armee.
- Der Korse hatte zwei Ehefrauen. 1796 heiratete er die sechs bis zehn Jahre ältere (genau weiß man es nicht) Marie-Josèphe Rose Tascher de la Pagerie, die später an seiner Seite zur Kaiserin Joséphine gekrönt wird.
- Im selben Jahr profilierte er sich im Italien-Feldzug
- 1798 scheiterte die Eroberung Ägyptens, die Briten versenkten die französische Flotte. Trotzdem wurde Napoleon ein Jahr später Erster Konsul der Französischen Republik mit weitreichenden Vollmachten.
- 1804 krönte sich Napoleon sich selbst zum Kaiser der Franzosen. Daraufhin verbündeten sich England, Russland und Österreich. Napoleon schlug die russisch-österreichischen Truppen bei Austerlitz. Großbritannien siegte bei Trafalgar.
- Als sie 46 war und Napoleon noch immer keinen Thronfolger geboren hatte, ließ er sich von Joséphine scheiden und ehelichte 1810 die erst 18-jährige Tochter des österreichischen Kaisers, Marie-Louise. Dazwischen gab es unzählige Geliebte.
- 1811 gebar seine zweite Frau Marie-Louise den Thronfolger, Napoleon-Francois-Joseph-Charles, der 1832 als Herzog von Reichstadt in Schönbrunn kinderlos verstarb. Daneben hatte Napoleon verschiedene Geliebte. Bereits während seiner Ehe mit Joséphine hatte er zwei illegitime Kinder darunter Sohn Alexandre aus einer sieben Jahre währenden Liebesbeziehung mit Gräfin Maria Walewska.
- Napoleons Vielvölkerheer erreichte 1812 Moskau, doch die "Grande Armée" wurde bei dem Marsch fast vollständig vernichtet. Im Jahr darauf besiegten Preußen, Russland, Großbritannien, Österreich und Schweden Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig.
- 1814 dankte er ab und musste nach Elba. Knapp ein Jahre später kehrte Napoleon für hundert Tage nach Frankreich zurück, seine Armee wurde bei Waterloo geschlagen, er endgültig nach St. Helena verbannt. 1821 starb er dort.
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