Wie die Franzosen den früheren Kaiser Napoleon heute sehen
Zum 200. Todestag hält Präsident Macron am Grab „einer der großen Figuren der französischen Geschichte“ Zeremonie ab. Viele sehen Napoleon aber kritisch.
05.05.21, 05:00
Aus Paris Felicitas Schneider
Das Gemälde „Bonaparte beim Überschreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard“ ist wohl das Sinnbild der Kontroverse, für die Napoléon sorgt. Es zeigt den damals Ersten Konsul der französischen Republik auf einem weißen Ross, das sich nach hinten aufbäumt. Der Feldherr sitzt fest im Sattel, elegant gekleidet, schaut mit festem Blick in Richtung Betrachter und zeigt mit der rechten Hand gen Himmel, als ob ihm keine Grenzen gesetzt wären. Im Hintergrund ziehen seine Truppen in Richtung Bergspitze. Auf dem Boden sind die Namen Hannibals, der als einer der größten Feldherren der Antike gilt, und Karls des Großen, des ersten Kaisers nach der Antike, geritzt. Auf dem Bild, das im Château de Malmaison, heute ein Museum, hängt, sind Napoléon und seine Mannen auf dem Weg zu ihrem Sieg über die Österreicher in der Schlacht bei Marengo im Jahr 1800.
Nur entspricht die Darstellung nicht ganz der Realität. Bonapartes Armee gewann zwar die Schlacht, aber dorthin ritt er auf einem Maultier, das von einem Bergführer gezogen wurde. Mantel und Hut waren beschmutzt. Heutzutage kommen hinter dem grandiosen Bild, das der spätere Kaiser von sich zeichnen wollte, seine Schattenseiten immer mehr zum Vorschein.
Der Eroberer
1769 auf Korsika geboren schloss er sich 1785 der französischen Armee an und wurde 1793, vier Jahre nach der Revolution, zum General. 1799 wurde er in einem Staatsstreich zum Ersten Konsul, 1804 dann zum Kaiser. Als Feldheer schaffte er es, große Teile Kontinentaleuropas zeitweise zu unterwerfen.
Innenpolitisch schuf Napoléon durch Reformen die Strukturen, auf denen der französische Staat noch heute basiert: Mit seinem Code Civil garantierte er den Bürgern Grundrechte und inspirierte auch andere europäische Länder dazu, ein Zivilrecht zu etablieren. Er reorganisierte die französische Verwaltung, gründete Frankreichs Zentralbank und führte den Franc ein. Napoléon rief auch das Oberste Verwaltungsgericht ins Leben und etablierte Frankreichs Gymnasien.
Der komplizierte Blick auf Napoleon 200 Jahre nach dessen Tod
"Vielschichte Persönlichkeit"
Doch spätestens seit dem 200-jährigen Jubiläum seiner Geburt 1969 werde dieses schillernde Image immer mehr von Kritik überschattet, so der Historiker Charles Éloi-Vial gegenüber dem Sender France 24. „Man sieht ihn nicht mehr nur als allwissendes und unbesiegbares Genie, sondern als vielschichtige Persönlichkeit.“
Hunderttausende Menschen starben während seiner Feldzüge. Er beanspruchte die Alleinherrschaft, war als Despot bekannt. 1802 führte er die Sklaverei wieder ein, obwohl man sie 1794 abgeschafft hatte. Und er gilt als Frauenfeind. Er etablierte, dass die Frau eine „eheliche Verpflichtung“ hätte, mit ihrem Mann zu schlafen. Sie sei dem Mann unterworfen, und der Mann habe das Recht, sie zu töten, wenn er sie beim Fremdgehen erwischt.
Der „Totengräber“
Trotz dieses durchaus zwiespältigen Bildes wird Präsident Macron das Jubiläum mit einer Zeremonie begehen, unter anderem am Grab Napoléons im Pariser Invalidendom – schließlich sei der ehemalige Feldheer „eine der großen Figuren der französischen Geschichte“. Doch dieser unkritische Ansatz stößt auf Unmut, auch bei Alexis Corbière, Parlamentarier des linksextremen Partei LFI. Er nennt Napoléon den „Totengräber der Republik“, die man nach der Revolution etabliert hatte. Andere bezeichnen ihn als „Tyrannen“ und „Völkermörder“. Ein solch kritischer Blick würde sich auch zunehmend unter Franzosen breitmachen, erklärte Éloi-Vial.
Tod auf St. Helena
Wenig ruhmreich war in jedem Fall das Ende Napoléons. 1814 musste er nach einer Niederlage gegen eine Koalition von Großbritannien, Russland, Preußen und Österreich abdanken und wurde auf die Mittelmeerinsel Elba verbannt. 1815 kam er erneut an die Macht, für nur knapp 100 Tage: Nachdem Napoléons Heer gegen die englische und preußische Armee die Schlacht bei Waterloo, das jetzt in Belgien liegt, verloren hatte, musste der Herrscher erneut abdanken. Er wurde bis zu seinem Lebensende am 5. Mai 1821 auf die britische Insel St. Helena verbannt.
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