Was in Cherson auf dem Spiel steht

Was in Cherson auf dem Spiel steht
Inwieweit der Angriff, der seit Montag läuft, erfolgreich ist – darüber gehen die Berichte erwartungsgemäß auseinander.

Nach wie vor herrscht von ukrainischer Seite eine „Informationssperre“ bezüglich der Gegenoffensive auf die russisch besetzte Stadt Cherson und das westliche Dnepr-Ufer. Allerdings veröffentlichten sowohl proukrainische als auch prorussische Kanäle Lagekarten, die darauf schließen lassen, dass ukrainische Verbände seit Montag versuchen, die russischen Streitkräfte von drei Stoßrichtungen aus anzugreifen.

Der erste Angriff dürfte wenige Kilometer südlich von Mykolajiw erfolgt sein und dürfte zum Zweck haben, russische Kräfte zu binden – ebenso der Angriff im Norden der etwa 200 Kilometer breiten Front. Der Hauptangriff dürfte – schenkt man russischen und ukrainischen Kanälen Glauben – beim Dorf Sukhyi Stavok in der Mitte der Front erfolgt sein. Hier hatten die Ukrainer bereits vor Wochen den Fluss Inhulez überquert und einen sogenannten Brückenkopf errichtet. So weit, so von beiden Seiten bestätigt.

Inwieweit der Angriff, der seit Montag läuft, erfolgreich ist – darüber gehen die Berichte erwartungsgemäß auseinander: „Dritter Angriffsversuch auf Cherson: Russische Armee wehrt Durchbruch der AFU ab“, titeln prorussische Medien. Die ukrainischen Streitkräfte hätten erfolglos versucht, den Brückenkopf zu erweitern. Von heftigen Verlusten auf ukrainischer Seite ist die Rede – es kursieren Videos von zerstörten Kampfpanzern.

Gleichwohl berichten ukrainische Kanäle von Durchbrüchen in Richtung der Straße T2207, die nach Nowa Kachowka führt. Dort ist ein strategisch wichtiger Übergang über den Dnepr. Allerdings wären es, selbst wenn es nach den optimistischsten proukrainischen Kanälen ginge, noch mehr als 35 Kilometer flaches Steppengelände bis dorthin.

Die Regierung in Kiew appelliert weiter „an die Verantwortung ihrer Truppen und an die Mitarbeit der Internetnutzer“, um die "Informationssperre" aufrechtzuerhalten. Sie erwähnte nicht einmal die Offensive, was darauf hindeutet, dass sie sowohl für die Sicherheit ihres Militärs als auch zur Aufrechterhaltung der Unsicherheit auf russischer Seite ein Höchstmaß an Geheimhaltung anstrebt. Gleichwohl spricht man von hohen russischen Verlusten.

Hohes Risiko

Unabhängig vom derzeitigen Verlauf der Kämpfe wird deren Ausgang entscheidend für den weiteren Verlauf des Krieges sein: Sollte es den ukrainischen Truppen gelingen, die russischen Verbände über den Dnepr zurückzuwerfen, hätte man vor dem Winter eine natürliche Barriere errichtet und könnte mit moderner Artillerie weiter den russischen Nachschub schwächen. Hinzu kommt, dass Kiew mit einem Erfolg für weitere Waffenlieferungen werben könnte – denn dann hätte im sich im ukrainischen Narrativ herausgestellt, dass diese Lieferungen Wirkung zeigen.

Für Moskau wäre ein Verlust Chersons nicht nur eine taktische Niederlage: Aus dem Oblast Cherson will Putin eine „unabhängige“ Separatistenrepublik nach Vorbild Lugansk und Donezk machen. Ohne Hauptstadt ließe sich das schlecht verkaufen.

Allerdings geht die Ukraine ein hohes Risiko ein: Eine Niederlage im Raum Cherson könnte verheerende Folgen haben. Bricht bei einem etwaigen Rückzug auch die Verteidigung zusammen, könnten die russischen Truppen auf Mykolajiw zumarschieren und die Stadt noch vor dem Winter belagern. Das würde ihnen eine gute Ausgangsmöglichkeit für eine etwaige Offensive auf Odessa im Frühling bieten.

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