Was die neuen NATO-Mitglieder können - auch im Vergleich zu Österreich
„Das ist ein historischer Tag für Finnland, für Schweden, für die NATO und für die euro-atlantische Sicherheit“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, als Vertreter der 30 Mitgliedsstaaten am Dienstag die Beitrittsprotokolle für Finnland und Schweden unterzeichneten. In sechs bis acht Monaten – wenn alle Formalitäten erledigt sind – wird der Verteidigungspakt um 36.300 Berufs- und 931.800 Reservesoldaten reicher sein.
Hoher Wehrwille
Vor allem Finnland, das eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, ist bis heute jederzeit bereit sich zu verteidigen – ein Erbe aus dem russischen angriff während des Zweiten Weltkriegs. Eine neuerliche Attacke Russlands wollten die Finnen niemals ausschließen. Mehr als 70 Prozent der jungen Männer rücken jährlich zum Grundwehrdienst ein – in Österreich sind es 55 Prozent der tauglichen Männer. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung würden laut einer Umfrage im Ernstfall für ihr Land kämpfen.
Kein Wunder, dass Finnland mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern im Fall des Falles auf 280.000 Soldaten und 600.000 Reservisten zurückgreifen kann. Wie viel das ist, zeigt der Vergleich mit den französischen Streitkräften mit ihren 270.000 Soldaten.
Anfang April kündigte Helsinki zudem an, seine Militärausgaben in den kommenden vier Jahren um mehr als zwei Milliarden Euro zu erhöhen. Für das Jahr 2022 ist ein Verteidigungsetat von 5,1 Milliarden Euro vorgesehen – das ist beinahe doppelt so viel wie in Österreich. Auch in der Politik ist das Sicherheitsverständnis spürbar: Nahezu jeder Politiker und Unternehmer absolviert wehrpolitische Kurse auf der Universität. Die Politik scheut auch nicht davor zurück, viel Geld ins Militär zu stecken: Für eine Modernisierung der Flotte (1,2 Milliarden Euro) und Luftwaffe (7 bis 10 Milliarden Euro) gab es kürzlich Sonderbudgets. Zum Vergleich: Die umstrittenen Eurofighter kosteten Österreich 1,709 Milliarden Euro.
Besonders ist in Finnland auch die Finanzierung der Armee. Pilotenausbildung, Verpflegung und Reparaturen nehmen andere Behörden – anders als in Europa üblich – dem Verteidigungsministerium ab.
Auch im Zivilschutz gilt Finnland als Musterschüler. So gibt es in Bunkeranlagen der 650.000 Einwohner-Hauptstadt Helsinki Platz für 900.000 Menschen. Die Anlagen werden regelmäßig gewartet, sodass die Bevölkerung im Ernstfall nicht nur Schutz suchen kann, sondern auch Klo und Bad funktionieren.
Rückbesinnung
Schweden hingegen ist erst seit wenigen Jahren wieder dabei, seine Streitkräfte zu verstärken und Reformen durchzusetzen. Nach dem Kalten Krieg kürzte die Regierung zunächst die Verteidigungsausgaben, Einsätze bei Friedensmissionen auf der ganzen Welt (etwa bei NATO-Missionen in Afghanistan und im Irak) wurden zur Hauptaufgabe. Flossen 1990 noch 2,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung, waren es 2020 nur noch 1,2 Prozent.
Doch Stockholm machte bereits vor wenigen Jahren kehrt. 2017 führte das Land die Wehrpflicht, die 2010 ausgesetzt wurde, wieder ein, denn es mangelte – wie in fast allen Ländern ohne verpflichtenden Grundwehrdienst – an Rekruten. Allerdings wird nur ein gewisser Teil der etwa 100.000 wehrfähigen Männer und Frauen – seit der Wiedereinführung gilt die Wehrpflicht auch für sie – tatsächlich eingezogen, bisher sah man keine Notwendigkeit dafür. Das ändert sich stetig: Waren es anfangs 4.000 Personen pro Jahr, sollen es bis 2025 8.000 sein.
Bis 2025 soll auch die Kapazität an Soldaten drastisch erhöht werden. Stünden jetzt in Kriegszeiten etwa 60.000 zur Verfügung, will das schwedische Verteidigungsministerium die Zahl bis 2025 auf 90.000 Soldaten aufstocken. Auch Geld soll mehr fließen: Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine will Stockholm die Militärausgaben auf zwei Prozent erhöhen.
Gemeinsame Übungen
Dass beide Länder seit Jahrzehnten an NATO-Übungen teilnehmen und ihre Soldaten mit NATO-Standard mithalten können, ist ein Vorteil für das Verteidigungsbündnis.
Mit dem Beitritt Schwedens und Finnlands baut die NATO ihre Machtposition in der Ostsee massiv aus – vor allem durch die strategisch wichtige Insel Gotland, die Schweden gehört – sie gilt als „unsinkbarer Flugzeugträger“.
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