Warum Wirecard für den deutschen Vizekanzler brisant werden könnte

Warum Wirecard für den deutschen Vizekanzler brisant werden könnte
Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz könnte die SPD in die nächste Wahl führen - wäre da nicht der Wirecard-Skandal.

Über der deutschen Hauptstadt hängt eine Dunstglocke. Es ist heiß, die Bäder sind voll, die Straßen leer, auch im politischen Zentrum Berlins, die meisten Abgedordneten haben ihre Sachen gepackt und sind abgereist. Sommerpause.

Nur nicht an diesem Mittwoch. Neben dem Bundeskabinett tagt heute auch der Finanzausschuss im Bundestag mit einer Sondersitzung. Auf der Tagesordnung steht der Skandal um den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister Wirecard - einst als vielversprechendes Start-Up gehandelt, ist es nun zum Inbegriff von dubiosen Machenschaften und Bilanzfälschungen geworden.

Zwei, die dort heute die Fragen der Oppositionsparteien beantworten müssen: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Es geht etwa um Fragen, wann die Regierung von Unregelmäßigkeiten wusste - und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat oder ob Wirecard sogar trotzdem unterstützt wurde. Kritik gibt es zudem an der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), eine Behörde die Scholz' Finanzministerium untergeordnet ist. Sie hätte die Ungereimtheiten früher erkennen und ihnen nachgehen müssen, heißt es. Es geht dabei auch um die Frage: Was und wie viel wusste der Finanzminister persönlich über die Sache?

Und eigentlich geht es für Olaf Scholz noch um viel mehr: Es ist kein Geheimnis, dass der SPD-Politiker als möglicher Kanzlerkandidat seiner Partei gehandelt wird. Mögliche Verwicklungen oder gar ein Untersuchungs-Ausschuss, der sich über Monate und vielleicht bis ins Wahljahr 2021 zieht und Schauplatz politischer Scharmützel wird, könnten seine Kandidatur trüben.

Offiziell gibt es keine Bestätigung für Scholz' Streben nach dem Kanzleramt. Allerdings wird in Berlin schon länger darüber gemunkelt, auch während der Corona-Krise haben sich die Anzeichen verdichtet, dass da einer noch Größeres vor hat.

Und es hat Wumms gemacht

Wenn er etwa von den finanziellen Rettungspaketen als "Bazooka" sprach und ankündigte, "mit Wumms" aus der Krise zu kommen, glaubte man, sich verhört zu haben. Scholz, der eher zu hölzernen Formulierungen neigt, sich in Details verliebt, hat rhetorisch aufgerüstet. Während man von den eigentlichen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wenig mitbekommen hat.

"Bazooka"-Scholz stand also bereit und kündigte nebenbei an, seinen Wahlkreis von Hamburg nach Potsdam zu verlegen. Er will sich dort bei der nächsten Bundestagswahl 2021 für ein Mandat bewerben. Seit dem Eintritt ins Kabinett Merkel 2018 lebt der gebürtige Osnabrücker und ehemalige Oberbürgermeister von Hamburg dort mit seiner Frau. Es war eine Art Rückkehr, denn Scholz war in Berlin zuvor schon SPD-Generalsekretär, Arbeitsminister und Vizechef der SPD. Dass er es nicht zu deren Vorsitzendem geschafft hat, trübt seine Vita.

Als Andrea Nahles im Frühjahr 2019 das Handtuch warf, griff er nur zögerlich zu und trat dann für das Casting gemeinsam mit der Abgeordneten Klara Geywitz aus Potsdam an. Die Parteimitglieder entschieden sich letztlich dennoch für das weniger bekannte und mit dem Berliner-Politbetrieb kaum erfahrene Duo Esken und Walter-Borjans. Eine Klatsche für den Vizekanzler. Von Gesichtsverlust und Beschädigung seiner Autorität war die Rede. Einige waren sicher sicher, dass Scholz abtreten wird. Doch sie sollten irren. Fast demonstrativ gelassen schlenderte er mit Weinglas in der Hand bei der Party vor dem SPD-Parteitag herum. Selbst bei der offiziellen Wahl der neuen Führung ließ er sich keine Kränkung anmerken und machte als Minister und Merkel-Vize unauffällig weiter seine Arbeit - bis zur Krise.

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Scholz und Kühnert

In Umfragen vorne

Scholz war plötzlich präsenter denn je, gemeinsam mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versuche er, die Folgen der Corona-Krise mit staatlichen Rettungspaketen abzufedern. Was in der Bevölkerung durchaus gut ankam. In einer aktuellen Umfrage des Kantar-Instituts für die Zeitungen der Funke Mediengruppe gaben 42 Prozent an, Scholz sei der geeignetste mögliche Bewerber der Partei für das Kanzleramt. Er lag damit deutlich vor anderen SPD-Spitzenpolitikern im Bund.

Das dürften auch andere erkannt haben. Selbst unter den Jusos, der SPD-Nachwuchsorganisation, finden sich Befürworter für Scholz. Juso-Chef Kevin Kühnert, mittlerweile selbst Teil des Parteivorstandes, der ihn vor Monaten noch als SPD-Chef verhindern wollte, lobt Scholz' Arbeit. Seine einstigen Kontrahenten Esken und Walter-Borjans scheinen sich ebenfalls mit ihm arrangiert zu haben. Antreten wollen sie beide ebenfalls nicht, das haben sie schon zu Beginn ihrer Amtszeit angekündigt.

Es sieht also so aus, als würde an Scholz kein Weg vorbeiführen, solange er nicht durch den Finanzskandal ins Straucheln gerät. Seine derzeitige Strategie: Er geht in die Offensive. "Es gibt nur eine einzige Vorgehensweise: Voran, nichts verbergen, aktiv an der Spitze der Aufklärung stehen und dafür zu sorgen, dass alle Sachen geklärt werden", sagt Scholz im Morgenmagazin von ARD und ZDF. Ob es ihm damit auch gelingt, die Finanzpolitiker der Oppositionsparteien im Ausschuss zu überzeugen und einen U-Ausschuss abzuwenden, wird sich am Nachmittag zeigen.

 

 

 

 

 

 

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