Wirecard-Skandal: Wie konnte das passieren?
Markus Braun reiste aus Wien an, um sich der Münchner Polizei zu stellen. Diese suchte den zurückgetretenen Wirecard-Chef bereits per Haftbefehl. Gegen die Zahlung von 5 Millionen Euro Kaution und wöchentlicher Meldepflicht bleibt ihm die U-Haft vorerst erspart. Braun kann sich die Kaution leisten, auch wenn sein 7-Prozent-Anteil an Wirecard wegen des Kurzssturzes zuletzt massiv an Wert verloren hat. Er wolle mit den Ermittlern kooperieren, sagte Braun bei der Einvernahme am Dienstag.
Der 51-jährige Wiener wird viel zu erklären haben. Erst kurz zuvor räumte Wirecard ein, dass 1,9 Mrd. Euro, die auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht waren, sehr wahrscheinlich nicht existieren. Anders formuliert: Es dürfte sich um reine Luftgeschäfte gehandelt haben, um die Bilanzsumme und die Umsätze des Unternehmens künstlich aufzublähen. Die Staatsanwaltschaft München wirft Braun bisher Marktmanipulation sowie „unrichtige Angaben“ in den Wirecard-Bilanzen vor. Es kämen aber auch noch andere Straftaten in Betracht, etwa gewerbsmäßiger Betrug. „Wir führen unsere Ermittlungen ergebnisoffen“, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Brauns Festnahme dürfte nicht die letzte in dem milliardenschweren Bilanzskandal sein. Der am Montag von Wirecard gefeuerte Jan Marsalek, ebenfalls Österreicher, war bis vergangene Woche für das Tagesgeschäft verantwortlich. Er könnte ebenfalls per Haftbefehl gesucht werden. Die Ermittler gehen jedenfalls von weiteren Mittätern in der Causa aus.
Wie kann das passieren?
In der Börsen- und Finanzwelt werde der Fall weitreichende Konsequenzen haben, glaubt Kleinaktionärsvertreter Wilhelm Rasinger. Die zentrale Frage lautet: Wie konnte der mutmaßliche Betrug überhaupt passieren?
„Ehrlich gesagt, ich habe das Geschäftsmodell von Wirecard nie ganz verstanden“, gibt Rasinger ehrlich zu. Er habe sich gewundert, dass eine Firma mit dem Zahlungsverkehr so viel Geld verdienen könne, während die Banken immer jammern, wie unprofitabel dieses Geschäft sei. Mit Wirecard werde jetzt das Geschäftsmodell vieler FinTechs viel kritischer unter die Lupe genommen werden. In Österreich gebe es kaum Wirecard-Anleger, „und wenn, dann sind es Zocker“, so Rasinger. Die Aktie galt als Spekulationstitel und wurde entsprechend gehypt.
Mit Fragen und scharfer Kritik sind auch die Finanzaufsicht Bafin und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY konfrontiert, die die Wirecard-Abschlüsse 2017 und 2018 testiert hatte. Bei rein digitalen Geschäften stoße jede Aufsicht schnell an ihre Grenzen, gibt Rasinger zu Bedenken. Hier müssten neue Regularien gefunden werden.
Wie Parmalat 2003?
Das verschwundene Geld soll auf Treuhandkonten bei philippinischen Banken geparkt gewesen sein – diese wissen jedoch nichts von Geld oder Geschäftsbeziehung. Die deutsche Bilanzanalyse-Expertin Carola Rinker, die das Bundeskriminalamt in Sachen "Bilanzfälschung aufdecken" schult, sieht darin eine große Parallele zum Parmalat-Skandal 2003.
Der Milchkonzern verfügte damals über ein verschachteltes Firmengeflecht aus zig Tochterfirmen zum Teil in Steueroasen, in denen Schulden zwischengeparkt wurden, damit sie aus der Bilanz verschwinden sollten. Die Luftgeschäfte flogen auf, als bei der Parmalat-Tochter Bonlat auf Cayman Island ein Finanzloch von fast vier Milliarden Euro klaffte. Parmalat ging bankrott. Der schillernde Firmengründer und Ex-Konzernchef Calisto Tanzi wurde Jahre später wegen Bilanzfälschung und Insolvenzbetrug zu 18 Jahren Haft verurteilt.
Der Schwindel hätte früher auffliegen können, so Rinker in der NZZ. Bei Parmalat sei der Milchkonsum auf Kuba unrealistisch hoch gewesen. Bei Wirecard wiederum hätten die Transaktionen auf den Philippinen fünf Prozent des gesamten Bankumsatzes auf den Inseln ausgemacht. Verdächtig allemal.
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