Der Grazer Historiker forscht seit den 1970er-Jahren in Russland. Er kennt die Gepflogenheiten und Rituale des Kreml und auch jene Putins, mit dem er im Zuge seiner Forschungen auch schon persönlich zusammengetroffen ist. Distanzlosigkeit und Blauäugigkeit, wie ihn sich Österreich – etwa eine ehemalige Außenministerin – immer wieder gegenüber dem Kreml geleistet hat, sieht er bei diesem Besuch nicht: „Nehammer wird nicht mit Putin tanzen – und er wird auch keinen Hofknicks machen.“
Dass Nehammer, anders als andere EU-Regierungschefs, die nur mit Putin telefoniert haben, persönlich nach Moskau gereist ist, habe durchaus Sinn: „Persönliche Begegnungen haben einfach einen ganz anderen Stellenwert.“
Chance nicht verstreichen lassen
Karner betrachtet die Reise und ihren Nutzen mit der Nüchternheit des Historikers. Natürlich sei die Chance auf ein greifbares positives Ergebnis gering, „aber es gibt keinen Grund, eine solche Chance in diesem historischen Moment ungenützt verstreichen zu lassen“.
Dass der Kreml einen EU-Regierungschef empfange, sei auch ein Signal, dass man einen Gesprächskanal aufbauen wolle, „und Österreich hat in dieser Rolle des Vermittlers durchaus Tradition.“ Was die Skepsis bezüglich der Chancen des Besuches betrifft, leistet sich Karner für einen Wissenschafter bemerkenswerte Deutlichkeit: „Schlimmer machen kann man in dieser Situation wohl nichts mehr, wenn dann nur etwas verbessern. Wenn auch nur im humanitären Bereich etwas gelingt, wenn Putin da auf Vorschläge reagiert, dann hat die Reise ihren Zweck bereits erfüllt.“
Karner hat sich in seiner Arbeit viel mit Russlands Randlage – in- und außerhalb Europas – beschäftigt. Seine Sicht fasst er in einer kurzen und klaren Analyse zusammen: „Die USA sind für die Sicherheit Europas unverzichtbar. Russland aber ist als unser Nachbar unverrückbar.“ Beziehungen mit diesem riesigen Nachbarn aufrechtzuerhalten sei immer notwendig gewesen – und werde auch in Zukunft notwendig sein: „Es hat keinen Sinn, alle Brücken niederzureißen oder abzubrennen. Die österreichische Politik hat das immer wieder verstanden. Daher stammt ja auch unsere Position als Vermittler – und diese Position sollten wir nützen, gerade in dieser schrecklichen Situation.“
Kommentare