Putin plant offenbar "Oster-Offensive", Kiew befürchtet Angriff auch aus Westen

Putin plant offenbar "Oster-Offensive", Kiew befürchtet Angriff auch aus Westen
Russland erhöht die militärische Schlagkraft im Osten der Ukraine. Kiew befürchtet zudem Angriffe russischer Soldaten von Moldau aus.

Tag 47 im Krieg:

Nachdem es der russischen Armee entgegen der anfänglichen Erwartungen des Kreml nicht gelungen ist, die Ukraine in wenigen Tagen einzunehmen, und auch die Angriffe auf die Hauptstadt Kiew bislang nicht den erhofften Erfolg gebracht haben, richten russische Streitkräfte den Fokus derzeit auf den Osten der Ukraine. 

Aus anderen Kampfgebieten wurden und werden Truppen abgezogen und gen Osten verlegt. Der gesamte Norden der Ukraine gilt mittlerweile als frei von russischen Streitkräften. Putins 4. Panzerdivision etwa, welche in Sumy stationiert war, soll bereits in der Grenzregion zum Donbass angekommen sein. In Charkiw wurden am Wochenende Schützenpanzer-Kolonnen gesichtet. Und von Isjum aus wollen russische Kampfeinheiten, darunter auch jene Luftlandegruppen, die Ende Februar den Überfall auf die Ukraine gestartet haben, in Richtung Süden vorstoßen und dabei 30.000 ukrainische Soldaten einkesseln.

Die Truppenverlegungen dürften Teil einer von Präsident Putin geplanten "Oster-Offensive" sein, wie die Bild mit Verweis auf deutsche Sicherheitsbehörden schreibt. 

Auch die deutsche Osteuropa-Expertin Marieluise Beck rechnet mit einer "großen Oster-Offensive" der russischen Armee. Mehrmals schon wurde der 9. Mail als jenes Datum genannt, an dem Russland den Krieg für sich entschieden haben will. Der 9. Mai ist der russische "Tag des Sieges" über Nazideutschland.

Angriff im Westen?

Die ukrainische Führung fürchtet derweil einen russischen Angriff auch aus dem Westen. Dazu könnten die in der Republik Moldau stationierten russischen Truppen genutzt werden, hieß es am Montag in Kiew. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die russischen Streitkräfte auf dem Gebiet der Region Transnistrien in der Republik Moldau Provokationen durchführen“, teilte der ukrainische Generalstab mit.

Das an der Grenze zur Ukraine gelegene Transnistrien gehört völkerrechtlich zur Republik Moldau, wird aber seit 1990 von Russland unterstützt. Sollten die russischen Truppen aus Transnistrien und moskautreue paramilitärische Gruppen aus der Region in den Ukraine-Krieg eingreifen, droht potenziell die Einschließung ukrainischer Kräfte im Süden des Landes, speziell rund um die Region Odessa. Russland hat bisher alle derartigen Absichten dementiert.

Kadyrow: "Es wird eine Offensive geben"

"Es wird eine Offensive geben ... nicht nur auf Mariupol, sondern auch auf andere Orte, Städte und Dörfer", sagte der Putin-Verbündete und Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, in einem Telegram-Video.

Erst werde man die Donbass-Gebiete Luhansk und Donezk "vollständig befreien", danach auch Kiew und alle anderen Städte einnehmen.

Minimalplan Ostukraine

"Die russische Armee arbeitet weiter an ihrem Minimalplan Ostukraine", sagte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar in der Nacht zum Montag. Die Schwerpunkte der nächsten russischen Angriffe würden bei Charkiw und Slowjansk erwartet.

FILE PHOTO: Head of the Chechen Republic Kadyrov meets with Russia's President Putin near Moscow

Ramsan Kadyrow, Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien

"Die russischen Truppen werden zu noch größeren Operationen im Osten unseres Staates übergehen", meinte auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij in einer Videoansprache. Seit Tagen zieht Russland Truppen im Osten zusammen, zieht dafür aus Gebieten im Nordwesten des Landes ab.

"Die Schlacht um den Donbass wird mehrere Tage dauern, und während dieser Tage könnten unsere Städte vollständig zerstört werden", erklärte der ukrainische Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, auf Facebook.

"Wir bereiten uns auf ihre Aktionen vor. Wir werden darauf reagieren", erklärte Gajdaj mit Blick auf die erwarteten Angriffe, während die ukrainischen Streitkräfte entlang der Frontlinie zu den Gebieten der pro-russischen Separatisten neue Gräben anlegten und die Straßen mit Minen und Panzersperren blockierten.

Phosphormunition

In Mariupol sind nach Selenskijs Angaben Zehntausende Menschen getötet worden. "Mariupol wurde zerstört. Es gibt Zehntausende Tote. Und trotzdem hören die Russen mit ihrer Offensive nicht auf", sagt er in einer Videobotschaft an das südkoreanische Parlament.

Das Verteidigungsministerium in London warnte davor, dass Russland bei seinen Angriffen auf die Hafenstadt auch Phosphormunition einsetzen könnte. Die Möglichkeit dafür habe sich erhöht, da Russland solche Munition bereits in der Region Donezk eingesetzt habe.

Unter Phosphormunition versteht man Geschosse, die durch Phosphor im Ziel eine Brandwirkung haben. Die Verbrennungstemperatur von weißem Phosphor übersteigt 800 °C, wodurch sich im Falle einen Bombenabwurfes die Verbrennung über Hunderte von Quadratmetern ausbreiten kann.

Phosphor verursacht auf der Haut schwere Verbrennungen. Das Einatmen von Dämpfen verbrennt Lungen. Durch die geschädigte Haut dringt Phosphor in den Körper ein, brennt weiter und schädigt innere Organe.

Fluchtkorridore

Für die Zivilbevölkerung in umkämpften Städten im Osten der Ukraine wurden am Montag nach Angaben der Regierung neun Fluchtkorridore eingerichtet. Aus der besonders schwer von russischen Angriffen betroffenen Stadt Mariupol soll ein Weg für Privatfahrzeuge in Richtung der Stadt Saporischschja führen, wie Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram mitteilte.

Auch aus der Stadt Berdjansk sowie zwei weiteren Orten in der Region sollten Fluchtrouten für Privatautos eingerichtet werden. Aus umkämpften Gebieten in der Region Luhansk führten fünf Korridore in die Stadt Bachmut, schrieb Wereschtschuk.

Die Routen werden jeden Tag neu angekündigt. Wereschtschuks Angaben nach konnten am Sonntag rund 2.800 Zivilisten aus umkämpften Regionen flüchten. Russland und die Ukraine werfen sich immer wieder gegenseitig vor, die Evakuierung von Ortschaften und Städten zu sabotieren.

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Kampfflugzeuge vom Typ Su-25

Ukrainische Kampfjets abgeschossen

Bei Luftangriffen haben russische Streitkräfte nach eigenen Angaben weitere 78 ukrainische Militärobjekte zerstört. "Die russischen Luftabwehrsysteme haben bei der Ortschaft Isjum zwei ukrainische Kampfflugzeuge vom Typ Su-25 abgeschossen", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Montag. Darüber hinaus sei im Gebiet Cherson ein ukrainischer Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 abgeschossen worden.

Nach Angaben Konaschenkows wurden zudem mehrere ukrainische Kommandopunkte, Munitions- und Treibstofflager sowie Luftabwehrsysteme vernichtet. Darunter sei auch ein von der EU geliefertes S-300-System nahe der ostukrainischen Millionenstadt Dnipro, das durch eine vom Meer abgefeuerte Rakete des Typs Kalibr zerstört worden sein soll. Überprüfbar von unabhängiger Seite waren diese Angaben nicht.

Explosionen in Charkiw

Laut ukrainischen Medien waren am späten Sonntagabend heftige Explosionen in der nordöstlichen Stadt Charkiw und in Mykolajiw in der Nähe des Schwarzen Meeres zu hören. "Die russische Armee führt weiterhin einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung, weil es an der Front keine Siege gibt", schrieb Regionalgouverneur Oleg Synegubow am Sonntagabend auf Telegram.

In Charkiw sollen bei russischen Artillerieangriffen demnach zwei Menschen getötet worden. Am Vortag erst waren bei Bombenangriffen südöstlich der Stadt zehn Zivilisten getötet worden.

Unter den zivilen Opfer war dem Gouverneur zufolge ein Kind. Mindestens elf weitere Menschen seien bei Angriffen auf "zivile Infrastruktur" in den Orten Balaklija, Pesotschin, Solotschiw und Dergatschi verletzt worden, schrieb Synegubow auf Twitter.

Der britische Militärgeheimdienst sprach am Montag von russischen Beschuss in Donezk und der Nachbarregion Luhansk.

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