Warum in Afrika gerade wieder häufiger Putsche stattfinden
Niger ist seit 2020 bereits der vierte Staat der Sahelzone, in dem das Militär gewaltsam die Kontrolle übernommen hat. Die Ursachen für den traurigen Trend.
Die nächste zentralafrikanische Demokratie ist gefallen, seit Freitag hat sie ein neues, selbsternanntes Staatsoberhaupt: Zwei Tage nach dem Militärputsch im Niger hat sich General Abdourahamane Tchiani am Vormittag in einer TV-Ansprache zum "Präsidenten des Nationalrats zum Schutz des Vaterlands" ausgerufen.
Damit setzt sich in der sogenannten Sahel-Zone, dem Übergangsgebiet zwischen der Sahara und dem tropischen Zentralafrika, ein Trend fort, der vor drei Jahren seinen Anfang nahm. Der Niger ist seither nach Mali, Guinea und Burkina Faso der dritte Staat in der Region, in dem das Militär mit einem gewaltsamen Putsch die Macht übernommen hat:
In Mali gab es gleich zwei Putsche: Zuerst wurde im August 2020 Präsident Ibrahim Boubacar Keita festgesetzt und zum Rücktritt gezwungen. Im Mai 2021 setzte das Militär schließlich auch den zwischenzeitlich regierenden Übergangsrat ab, der das Land in demokratische Wahlen führen sollte.
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In Guinea verhaftete die Armee im September 2021 den zunehmend autoritär regierenden Präsidenten Alpha Condé und setzte die Verfassung außer Kraft. Bis heute regiert dort das Militär. ➤ Militär in Guinea putscht und nimmt Präsidenten gefangen
In Burkina Faso gab es ebenfalls zwei Putsche innerhalb kürzester Zeit. Zunächst stürzten die Generäle die Regierung um Präsident Roch Marc Kaboré und lösten das Parlament auf. Die anschließende Militärregierung führte acht Monate lang Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba an, bis auch er von untergebenen Generälen gewaltsam entmachtet wurde.
Warum die Sahelzone so anfällig für Staatsstreiche ist
Seit vielen Jahren sind die Vereinten Nationen, die Europäische Union und Einzelstaaten in den Ländern der Sahelzone militärisch involviert, doch die Region wurde zuletzt politisch immer instabiler. Das hat mehrere strukturelle Gründe:
Fantasie-Grenzen
Die Grenzen etlicher afrikanischer Staaten rühren noch aus der Kolonialzeit und wurden von den damaligen Besatzungsmächten auf Karten gezogen. In den seltensten Fällen verlaufen sie entlang geografischer Hindernisse oder kultureller Siedlungsräume. Das heißt: In Staaten wie Nigeria, Mali oder Niger leben völlig unterschiedliche Volksgruppen mit unterschiedlicher Sprache, Kultur und Religion im selben Land, aufgrund fehlender Infrastruktur teilweise von kaum überwindbaren Wäldern, Wüsten oder Bergen voneinander getrennt. Bei gleichzeitig mangelnden Ressourcen führt das in vielen Staaten der Region zu Konflikten - die oft auch mit Gewalt ausgetragen werden.
Nachwirkungen der Kolonialzeit
Die meisten der Sahel-Staaten waren unter französischer Kolonialherrschaft einst Teil von Französisch-Westafrika. Bei einem Großteil der Bevölkerung Mauretaniens, Malis, Burkina Fasos und Nigers ist deshalb bis heute noch ein großes Misstrauen gegenüber Frankreich und Europa verankert. So erhielt das Militär in diesen Staaten oft breite Unterstützung, wenn es sich gegen eine Regierung richtete, die mit der französischen Armee zusammenarbeitete.
Russische Söldner
Weil gleichzeitig eine große Zahl russischer Söldner, allen voran die zuletzt wegen des Marsches auf Moskau berüchtigte Wagner-Gruppe, in der Sahelzone aktiv sind, gewinnt Moskau meist an Einfluss in der Region, wenn Europa diesen verliert.
Grassierende Armut und Korruption
Die Sahelzone gehört zu den ärmsten Regionen der Erde, was nicht nur an der jahrhundertelangen Ausbeutung in der Vergangenheit, sondern auch den durch den Klimawandel immer häufiger vorkommenden Umweltkatastrophen liegt. Dürren stehen an der Tagesordnung - und wenn es einmal regnet, dann viel zu stark. Das Land mit der größten Wirtschaftsleistung ist der Sudan, in dem seit April ein verheerender Bürgerkrieg tobt. In diesem Umfeld sind Politiker besonders anfällig für Korruption.
Zu junge Bevölkerung
Nirgendwo sonst auf der Welt bekommen Frauen mehr Kinder als in der Sahelzone: Mehr als fünf sind es im Schnitt. In Mali etwa wächst die Bevölkerung jährlich um drei Prozent. Mit gerade einmal 15,2 Jahren ist das Durchschnittsalter im Niger das niedrigste weltweit. Wohlstandsgewinne für den Einzelnen sind da auch bei rasantem Wirtschaftswachstum kaum möglich.
Was letztlich ausschlaggebend für einen Putsch ist
Noch vor der aktuellen Phase mit der außergewöhnlichen Menge an Staatsstreichen hatten 75 Prozent aller Militärputsche weltweit in afrikanischen Ländern stattgefunden, wie Ökonomen 2019 in einer von der Wirtschaftsagentur NKC African Economics in Auftrag gegebenen Studie erhoben.
Die erhobenen Daten wiesen eine Reihe von Zusammenhängen auf, die auch heute in der Region zu beobachten sind: Je stärker ausländische Mächte in der Post-Kolonialzeit nach 1960 in afrikanischen Ländern um Einfluss rangen, desto eher putschte das von der einen oder anderen Seite unterstützte Militär. Und: Ein Staatsstreich in einem Land machte Nachfolge-Versuche in den unmittelbaren Nachbarstaaten deutlich wahrscheinlicher.
Auch die deutschen ÖkonomenMartin Gassebner, Jerg Gutmann und Stefan Voigt versuchten, anhand der Daten von 465 Putschen ausschlaggebende Faktoren zu analysieren. Ihrer Meinung steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Staatsstreich nur dann verlässlich, wenn die Wirtschaftsentwicklung im Land langfristig ausgeblieben ist und in der Vergangenheit bereits Putsche in dem Land gelangen.
Das heißt: Wo schon häufiger das Militär eine Regierung gestürzt hat, rechnen sich meuternde Offiziere Erfolgschancen aus. Die Gefahr ist nur dann klar niedriger, wenn das Land von stabilen Demokratien umgeben ist. Für die Staaten der Sahelzone trifft das nicht zu - Stabilität scheint somit durch die aktuelle Putschwelle in weite Ferne zu rücken.
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