Gegen die Gaspreisexplosion wächst so schnell kein Kraut
Die EU legt Maßnahmen zur Abfederung der hohen Gaspreise vor. Das hilft ein wenig. Langfristig aber sieht Brüssel nur einen Weg: Weniger Abhängigkeit von fossilen Energieträgern
Wenn Spanier, die ihre Wohnung mit Gas heizen, demnächst ihre Rechnung für den Oktober erhalten, werden sie ihren Augen nicht trauen: Die Kosten könnten bis zu fünf Mal höher sein als vor einem Jahr. In einigen anderen europäischen Staaten sieht es ähnlich dramatisch aus – absurd gestiegene Energiepreise, die Zigtausende Menschen vor die Wahl stellen werden : Heizen oder essen?
Die Regierung in Madrid hat mittlerweile eine Notbremse gezogen und ließ die Steuern auf Energie senken, Italien folgte nach. Frankreich verordnete den rasant steigenden Preisen einen Deckel. Alle drei Länder fordern, dass die EU in der aktuellen Energiekrise stärker eingreift.
Eine Idee dabei: Die EU-Staaten sollen ihre Gaseinkäufe künftig gemeinsam tätigen – so wie man es bei der letztlich erfolgreichen, gemeinsamen Impfstoffbeschaffung gehandhabt habe. Dadurch, so die Hoffnung, gerate die EU preismäßig weniger unter Druck ihres wichtigsten Gasanbieters – Russland. Von dort kommt mehr als ein Drittel des europäischen Gasbedarfs.
„Werkzeugkasten“
Doch auf die Schnelle kann die EU die Preislast nicht von den Schultern der europäischen Gas- und Stromkunden nehmen. „Die Gaspreise werden den ganzen Winter über hoch bleiben“, erwartet EU-Energiekommissarin Kadri Simson. Erst ab Frühjahr dürften sie allmählich wieder sinken.Was die EU-Kommission in Brüssel am Mittwoch vorlegte, bezeichnet sie selbst als einen „Werkzeugkasten“. Darin können die Regierungen kramen und anwenden, was sie für ihre Bürger als die geeignetsten Maßnahmen zur Abfederung der Preisexplosion erachten: Schecks für ärmere Haushalte, Erleichterungen bei Energiesteuern, Verpflichtung für Stromversorger, einen Teil ihrer Gewinne an die Kunden wieder zurückzugeben, Staatshilfen für Unternehmen. Wichtig sei dabei, sagte die EU-Kommissarin aus Estland, „dass die Maßnahmen begrenzt und gezielt auf die von Armut bedrohte Bevölkerungsgruppen angewendet werden.“
Das Geld dafür gibt es: 10,8 Milliarden Euro haben die EU-Staaten allein in den ersten neun Monaten des Jahres aus dem Emissionshandelssystem eingenommen.
Die Gründe, warum die Gaspreise so rasant anziehen, sind vielfältig: Die nach Corona wieder anspringende Konjunktur; der gewaltige Energiehunger Chinas; Windknappheit in Westeuropa; der vergangene, lange Winter; die erst zur 75 Prozent aufgefüllten europäischen Gasspeicher und nicht zuletzt Russland. Von dort kommen zwar die langfristig versprochenen Liefermengen. Doch die zusätzlichen Mengen, die Europa nun so dringend brauchen würde, liefert Gazprom nicht. Nicht wenige Experten vermuten dahinter politischen Druck: So wolle Moskau die rasche Inbetriebnahme der umstrittenen Pipeline North stream 2 erzwingen.
Fossile Brennstoffe
Auf Schuldzuweisungen will man sich bei der Kommission in Brüssel nicht einlassen, warnt aber vor „falschen Schlussfolgerungen. Der aktuelle Preisanstieg hat nichts mit unserer Klimapolitik zu tun, sondern mit unserer Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen und deren schwankenden Preisen“, betonte die EU-Kommissarin am Mittwoch immer wieder.
Der einzig langfristige Ausweg liege darin, schneller auf das Ziel der Union hinzuarbeiten: Bis 2030 will die EU 65 Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen. Wind-, Solar- und Wasserkraft müssen noch rascher als geplant ausgebaut werden. „Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist die beste künftige Versicherung gegen Preisschocks wie diesen“, sagt Simson.
Vorerst aber will Brüssel die Möglichkeiten prüfen, gemeinsame Gaseinkäufe zu tätigen. Rechtlich gesehen wäre das schon seit sechs Jahren möglich. Doch bisher scheiterten die Gemeinschaftsbestellungen an den zu unterschiedlichen Wünschen der Staaten. Das könnte sich nun ändern. Geplant sind zudem auch gemeinsame strategische Gasreserven. Darüber werden kommende Woche auch die 27 EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel beraten.
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