"Derzeit keine Sicherheit in Europa ohne USA"

Brigadier Walter Feichtinger skizzierte düstere Szenarien
Militär-Experte Feichtinger ist besorgt. Der künftige US-Präsident Donald Trump erklärte NATO für "obsolet" und stellte so EU-Sicherheitsordnung in Frage.

Der ansonsten für seine Zurückhaltung bekannte österreichische Militärexperte Walter Feichtinger zeigt sich nach den jüngsten Ansagen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump bezüglich der NATO ("obsolet") tief besorgt. Im KURIER-Interview skizziert er düstere Szenarien.

"Wenn Trump wirklich die Beistandspflicht in Frage stellt, dann stellt er die gesamte EU-Sicherheitsordnung in Frage, denn diese ruht auf dem entsprechenden Artikel 5 des NATO-Paktes. Und damit stellt er die transatlantischen Beziehungen insgesamt in Frage, denn für diese ist die NATO die Klammer schlechthin."

"Fatales Signal"

Dies hätte gravierende Folgen weit über den Verteidigungsaspekt hinaus. "Sicherheitspolitik ist auch und ganz zentral Vertrauenspolitik. Geht dieses Basis verloren, hat das Auswirkungen auch auf andere Felder der Politik", warnt der Leiter des Instituts für Friedensforschung und Konfliktmanagement an der österreichischen Landesverteidigungsakademie. Und in Bezug auf Russland sei diese Wortmeldung "ein fatales Signal", weil es die Position des Kremls stärke.

Dabei hatte sich der designierte US-Verteidigungsminister James Mattis bei seiner Anhörung im Senat in der Vorwoche für eine Politik der Härte und Abschreckung gegenüber Moskau stark gemacht. Auch die Verbundenheit Washingtons mit der NATO hatte er bekräftigt.

Im dem Interview mit der deutschen Bildzeitung aber übertrumpfte Trump seinen Pentagon-Chef in spe. Die NATO erklärte er für "obsolet", weil sie sich zu wenig im Anti-Terror-Kampf engagiere und die meisten der Verbündeten nicht ihren finanziellen Verpflichtungen nachkämen. "Es gibt nur fünf Länder, die zahlen, was sie sollten", sagte der künftige Oberbefehlshaber der Streitkräfte, "fünf, das ist nicht viel von 22 (Mitgliedsstaaten – es gibt aber 28)." Prinzipiell freilich sei ihm die Militär-Allianz "wichtig".

"Lebensgefährlich"

NATO-Generalsekretär Stoltenberg gab sich pragmatisch und zeigte sich "absolut zuversichtlich", dass auch die neue US-Regierung zum Bündnis stehen werde. Dagegen betonte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dass die Äußerungen Trumps in der NATO mit Besorgnis aufgenommen worden seien.

Und das mit gutem Grund. "Derzeit gibt es ohne die USA als dominierender Faktor in der NATO keine Sicherheit in Europa. Das ist auch von heute auf morgen nicht zu ändern", analysiert Feichtinger. Genau so sieht das Karl-Georg Wellmann, für die CDU im Auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestages: "Die NATO ist unser Sicherheitsfundament. Ein Europa ohne den Schutz der NATO ist lebensgefährlich für uns." Das wäre für andere eine Ermutigung, etwas zu tun.

Brigadier Feichtinger entwirft bei einem Wegdriften der USA von der NATO zwei mögliche Szenarien. "Die negative Variante wäre die von nationalen Alleingängen. Dass sich einzelne europäische Staaten an die USA anbiedern und Schutz suchen. Eine solche Fragmentierung könnte im Extremfall bis zum Zerfall der Allianz führen." Positiv wäre hingegen ein europäischer Schulterschluss, um eine umfassende EU-Streitkräfte-Planung anzugehen. "Das freilich ist eine Frage des politischen Willens – und des Geldes. Aber es könnte, derart unter Druck geraten, die Geburtsstunde einer echten gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein", hofft der Militär-Experte.

Eine Vorstellung, was in der Ära des künftigen US-Präsidenten zu erwarten ist, lieferte Donald Trump in einem Interview mit der Bildzeitung. Vieles erscheint absurd, manches sogar gefährlich – wie sein Rütteln an der Nachkriegsordnung in Europa. Der KURIER geht Trumps Interview-Kernaussagen nach.

  • Thema Brexit: "Wenn Sie mich fragen: Es werden weitere Länder austreten ..."

Donald Trump vereinfacht die Gründe für den geplanten EU-Austritt Großbritanniens: die Flüchtlingspolitik der EU. In Wahrheit waren es Arbeitsmigranten aus EU-Osteuropa, deren Zustrom viele Briten bremsen wollten. Trump fand den "Brexit" schon immer "großartig" – im Gegensatz zur bisherigen US-Politik. "Länder wollen ihre eigenen Identität", sagt Trump. Nach der Logik des künftigen US-Präsidenten, worin EU-Staaten innerhalb der Union ihre Identität verlieren, weil sie ja zu viele Flüchtlinge aufnehmen, werden automatisch noch mehr Ländern austreten. EU-Wirtschaftskommissar Moscovici bezeichnete das als "reine Fantasie".

Was am Brexit so "großartig" sein soll, verriet Trump bisher nicht. Er will Großbritannien ein bilaterales Handelsabkommen anbieten. Davon kann London nur träumen: Solange es EU-Mitglied ist, darf es keine bilateralen Abkommen verhandeln.

  • Thema EU: "Im Grunde genommen ist die Europäische Union ein Mittel zum Zweck für Deutschland ..."

Den riesigen Wirtschaftsraum EU hat Donald Trump bisher ebenso wenig wahrgenommen wie die politische Europäische Union. Für ihn ist Deutschland interessant, die meisten anderen Staaten sieht er am Gängelband Berlins und nimmt sie nicht ernst. Mit EU-Ratspräsident Tusk hat Trump zwar schon telefoniert, kann sich aber an dessen Namen nicht erinnern. Dass die USA, als bisher wichtigster Partner der EU, die Europäer stärken werden, ist also eher auszuschließen. Besonderes Interesse, die EU zu schwächen, hat er aber auch nicht.

  • Thema Merkel: "... sie ist großartig, eine großartige Anführerin. Aber sie hat einen äußerst katastrophalen Fehler gemacht, und zwar, all diese Illegalen ins Land zu lassen."

Die Reaktion durch Regierungssprecher Steffen Seibert fiel knapp aus: Angela Merkel habe das Trump-Interview mit Interesse gelesen; die Positionen der Kanzlerin zur Flüchtlingspolitik, zur EU und zur NATO seien bekannt. "Nun warten wir, wie es sich gehört, die Amtseinführung des Präsidenten Trump ab und werden dann mit der neuen Regierung eng zusammenarbeiten."

Die CSU und noch mehr die AfD haben Trumps harsche Kritik, wonach Deutschland Flüchtlinge ohne Überprüfung und Registrierung ins Land gelassen habe, mit Genugtuung registriert.

  • Thema Russland und Sanktionen: "Russland leidet im Moment schwer darunter. Aber ich glaube, da könnte manches gehen, von dem viele Leute profitieren würden."

Trump, der Geschäftsmann, rechnet sich offenbar gute Chancen aus, im Gegenzug für die Aufhebung der Sanktionen "ein paar gute Deals mit Russland" machen zu können. Konkret spricht er davon, dass Nuklearwaffen "erheblich reduziert werden müssten". In Moskau fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Der Senator und Ex-Vizevorsitzende der Duma, Oleg Morosow, verkündete, die Regierung in Moskau sei bereit, über eine Reduzierung des Atomwaffenarsenals zu verhandeln. Der Vorsitzende des Außenpolitik-Ausschusses des Föderationsrates, Konstantin Kosatschew, winkte hingegen ab. Die Sanktionen seien ein "dummes Vermächtnis" des scheidenden US-Präsidenten. Es lohne sich nicht, wegen der Strafmaßnahmen Zugeständnisse in Sicherheitsfragen zu machen.

Der Kreml selbst ließ nur knapp wissen, man warte ab, welche Initiativen Trump nach seiner Angelobung tatsächlich umsetzen werde. Ein Treffen zwischen Kremlchef Putin und Trump sei jedenfalls noch nicht geplant. US-Vizepräsident Joe Biden betonte bei seinem Abschiedsbesuch in der Ukraine, dass die Sanktionen wegen Russlands Einverleibung der Krim in Kraft bleiben werden, bis Moskau die Halbinsel an die Ukraine zurückgegeben habe. Letztlich entscheidet der US-Kongress über eine Aufhebung der Sanktionen – danach aber sieht es derzeit nicht aus.

  • Thema Auto-Einfuhrzölle: "Ich glaube an den Freihandel, ich liebe den Freihandel, aber es muss ein kluger Handel sein, damit ich ihn fair nenne."

Trump baut auf Protektionismus, sprich, er will die US-Wirtschaft vor Importen schützen, indem er die Konzerne dazu bringt, statt in Mexiko in den USA zu produzieren. Diese sollen dazu nicht durch Investitionsförderungen animiert werden, sondern durch hohe Einfuhrzölle. Trump spricht von 35 Prozent für Autos aus Mexiko. Wieso er genau 35 Prozent nennt, ist unklar.

Betroffen könnten laut dem Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer vor allem jene Marken sein, die in Relation zu wenig oder gar nicht in den USA tätig sind, wie etwa VW oder Mazda. Der US-Präsident kann eine solche Steuer nicht ohne den Kongress einführen, jedoch Zölle von bis zu 15 Prozent anordnen – allerdings nur bis zu 150 Tagen.

Die Welthandelsorganisation (WTO) könnte das nicht verhindern, jedoch eine einseitige Aufkündigung des Freihandelsabkommens Nafta zwischen USA, Kanada und Mexiko zumindest verzögern, wenn die beiden anderen Länder vor der WTO dagegen vorgehen. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier pocht jedenfalls auf die Einhaltung internationaler Abkommen.

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