Wahl in Spaniens leeren Dörfern: Sogar die Wahlurne fehlt

Wahl in Spaniens leeren Dörfern: Sogar die Wahlurne fehlt
Verwaiste Orte, verwilderte Landschaften: Bei der Regionalwahl im Herzen Spaniens haben alle Parteien ein Problem – den langsamen Tod des ländlichen Raums.

Früher, da standen sie bei der Haltestelle, um mit dem Bus nach Madrid zu fahren. Jetzt versammeln sich die Bewohner des kleinen Ortes Aldehuela genau dort, um zu protestieren. „Ohne öffentlichen Verkehr sterben die Dörfer“ steht auf dem Transparent, das sie aufspannen, wenn der Überlandbus durch ihre Straßen donnert. Vom öffentlichen Verkehr ist nur noch der Lärm geblieben, so wie in vielen anderen Dörfern in der Gegend nördlich von Madrid.

Mittelalterliche Kirchen, Festungsmauern, Steinhäuser in den kargen, schneebedeckten Bergen, spanischer als in der Provinz Avila wird es im ganzen Land nicht. Trotzdem haben die Menschen gerade hier das Gefühl, dass sie dieses Spanien vergessen hat. Wenn am Sonntag in der Region Castilla y Leon gewählt wird, dann bestimmt ein Thema diese Wahl, das in Spanien längst politischer Kampfbegriff ist: „das leere Spanien“.

Eigentlich hatten die großen Parteien, also die regierenden Sozialisten (PSOE) von Premier Pedro Sanchez und die Konservativen der PP, mit einer Art nationalen Abrechnung bei diesen Wahlen gerechnet. Die ihn Spanien ohnehin tiefen Gräben zwischen links und rechts scheinen derzeit nämlich unüberbrückbar. Die Konservativen machen in Madrid immer härter Front gegen die Reformen der Sozialisten, wie etwa jene des Arbeitsmarktes, paktieren immer häufiger mit den Rechtspopulisten der Vox-Partei. Für die PSOE ist das eine gute Gelegenheit, um Schwächen und die innere Zerrissenheit ihrer Regierung mit Attacken gegen die unsoziale Rechte zu übertünchen.

Entvölkerung

Doch Castilla y Leon machte den Parteistrategen einen Strich durch die Rechnung. Es gehe um ihre örtlichen Probleme, nicht um den Streit in Madrid, meinen in Umfragen fast zwei Drittel der Bewohner hier – und das mit Abstand wichtigste Thema ist die Entvölkerung des ländlichen Raumes.

Die prägt diese Region wie kaum eine andere im Land. Mehr als die Hälfte aller Dörfer in Spanien, die unter die 100-Einwohner-Grenze gerutscht sind, befindet sich hier, weil die Großstädte, allen voran Madrid, die Menschen massenhaft abwandern lassen. In Tausenden Ortschaften gibt es keinen Bürgermeister, keine lokale Verwaltung mehr. Und wo die fehlen, fehlt es auch an Ärzten, Schulen, Kindergärten, Busse und Lokalzügen. Selbst wählen kann man in diesen Orten am Sonntag nicht mehr. Die Urnen werden im nächstgrößeren Ort aufgestellt.

Es sind in Summe viele und auch wichtige Stimmen, um die es in diesem leeren Spanien geht. Ländliche Gegenden haben nämlich auch bei nationalen Wahlen mehr Gewicht bei der Mandatsverteilung. Das hat die Politik in Madrid zuletzt gehörig in Bewegung gebracht. Die Spitzen aller Parteien sind unaufhörlich durch die Region getourt, haben großzügig Versprechen ausgeteilt und einander vorgeworfen, das ländliche Spanien im Stich zu lassen.

Die Konservativen verteidigen in Castilla y Leon eines ihrer Kernländer – und laut Umfragen sind sie drauf und dran, es zu verlieren. Um doch die Mehrheit zu erhalten, steht erneut ein Pakt mit der Vox-Partei im Raum. Für die Sozialisten bietet das eine perfekte Angriffsfläche: Die konservative Volkspartei würde alles für die Macht tun und nichts für die ländlichen Regionen.

Den Rücken gekehrt

Doch viele der Menschen in den kleinen Dörfern haben den großen Parteien ohnehin den Rücken gekehrt. Schon 1999 ist die erste Bürgerbewegung unter dem Titel „Teruel existiert“ – auch das ist eine der verlassenen Regionen – entstanden, inzwischen ist man ins Parlament in Madrid eingezogen. Dutzende andere dieser lokalen Bewegungen sind in Folge entstanden und treten jetzt bei der Wahl an.

Unter Druck geraten, veröffentlichte die Regierung jetzt Pläne für die Entwicklung der Regionen. Vorerst seien das nur Worte, kritisieren Vertreter der Bürgerbewegungen in El Pais: „Lange Zeit haben wir nichts erreicht als schöne Worte und ein Schulterklopfer. Wenn wir Politik verändern wollen, müssen wir dort sein, wo die Entscheidungen getroffen werden“ – in den Parlamenten.

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