Warum das so ist, lässt sich nicht zuletzt anhand des Umgangs mit dem faschistischen Gedankengut in Italien erklären. Ein Paradebeispiel liefert die Grabstätte der Familie Mussolini in der norditalienischen Kleinstadt Predappio, in der sich auch die sterblichen Überreste des Diktators Benito Mussolini befinden. Diese ist nach Sanierungsarbeiten wieder frei zugänglich, obwohl ein Teil der Familie strikt dagegen war.
„Das Grab ist für Predappio so etwas wie eine Goldgrube“, meinte vor laufenden Kameras einer der diesjährigen Organisatoren der Gedenkfeier zu Mussolinis Geburtstag am 28. Juli. „Wäre es nicht hier, müssten viele Geschäfte hier schließen.“ Gemeint ist damit vor allem der Verkauf von Devotionalien, Weinen und Likören mit dem Konterfei des „Duce“.
Mussolini – eine Marke, um Geld zu machen? Predappio ist in Italien kein Einzelfall. 2017 sorgte etwa ein Strandbad im venezianischen Chioggia für großes Aufsehen. Dort waren faschistische Symbole zu sehen und der Strandbadbesitzer hielt regelmäßig einschlägige Kundgebungen ab.
Überhaupt erscheint der Umgang in Italien mit dem „Ventennio“, der 20-jährigen Herrschaft Mussolinis, unbekümmert. Und nicht nur seitens der Nostalgiker: Silvio Berlusconi sagte zum Beispiel 2003 in einem Interview mit der britischen Wochenzeitung The Spectator, der Faschismus sei eine „gütige“ Diktatur gewesen, die ihre Gegner in „Ferienorte“ ins Exil geschickt habe.
Natürlich gibt es auch in Italien immer wieder Antifa-Demos. Doch mittlerweile sind die Versammlungen in Predappio, der verbotene römische Gruß (Vorbild des Hitlergrußes), das Strandbad in Chioggia oder das alljährliche Gedenken der gefallenen Kameraden am 1. November auf dem Mailänder Friedhof so etwas wie Folklore geworden. Die Medien stürzen sich darauf, der Großteil der Italiener scheint davon unbekümmert.
„Ein Teil der Italiener hat schon immer den Faschismus relativiert“, meint der Mailänder Politikwissenschaftler Damiano Palano. „Nicht zwingend wegen der Ideologie, sondern vielmehr als Reaktion auf die harsche Kritik der Antifaschisten.“
Vor dem Korruptionsskandal Tangentopoli, der Anfang der 90er-Jahre das alte Parteiensystem wegfegte, wählten viele von ihnen die Christdemokratische Partei. Als der Medientycoon Silvio Berlusconi in die politische Arena trat, wurde seine Forza Italia ihre politische Heimat.
Während Berlusconis Regentschaft – zwischen 1994 und 2011 war er vier Mal Premier – wurden die Begriffe Kommunismus und Faschismus zu rhetorischen Worthülsen. Das Mitte-Links-Lager wies immer wieder auf die Gefahr eines faschistischen Abdriftens hin, Berlusconi erzählte dagegen von kommunistischen Chinesen, die Kinder fressen. Der Machtkampf degradierte zu einer Form der Unterhaltung.
„Die Banalisierung auf beiden Seiten verhindert bis heute eine ernsthafte Debatte über die jüngste Geschichte Italiens“, hebt Palano hervor.
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