Italiens unbekümmerter Umgang mit der faschistischen Vergangenheit

Italiens unbekümmerter Umgang mit der faschistischen Vergangenheit
Ein Monat vor der Wahl führen die postfaschistischen Fratelli d'Italia in Wahlumfragen. Das liegt auch daran, dass die Ära Mussolini nie ernsthaft politisch aufgearbeitet wurde.

Auf drei Sprachen – Englisch, Französisch und Spanisch – nahm Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia, ihre Videobotschaft für die ausländische Presse auf. Darin hieß es: „Die italienische Rechte hat den Faschismus, die Beraubung der Demokratie und die infamen antijüdischen Gesetze seit Jahrzehnten verurteilt. Genauso verurteilen wir den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Letzterer ist die einzige totalitäre Ideologie des 20. Jahrhunderts, die in manchen Staaten noch an der Macht ist.“

Mit der Videobotschaft wollte Meloni ein beschwichtigendes Signal an die Staatskanzleien und Finanzmärkte schicken, sollte nach den Wahlen am 25. September wirklich eine Rechts-Mitte-Regierung mit ihr an der Spitze an die Macht kommen. Melonis „Fratelli“, deren Vorläuferparteien bis in postfaschistische Bewegungen zurückreichen, liegt in aktuellen Umfragen vorne. Mögliche wirtschaftliche Turbulenzen oder gar die Streichung von EU-Hilfsgeldern wären ein Desaster für das Land. Wirklich überzeugend war das Video aber nicht, gerade weil die italienische Version fehlt.

Faschismus-Nostalgie

Warum das so ist, lässt sich nicht zuletzt anhand des Umgangs mit dem faschistischen Gedankengut in Italien erklären. Ein Paradebeispiel liefert die Grabstätte der Familie Mussolini in der norditalienischen Kleinstadt Predappio, in der sich auch die sterblichen Überreste des Diktators Benito Mussolini befinden. Diese ist nach Sanierungsarbeiten wieder frei zugänglich, obwohl ein Teil der Familie strikt dagegen war.

„Das Grab ist für Predappio so etwas wie eine Goldgrube“, meinte vor laufenden Kameras einer der diesjährigen Organisatoren der Gedenkfeier zu Mussolinis Geburtstag am 28. Juli. „Wäre es nicht hier, müssten viele Geschäfte hier schließen.“ Gemeint ist damit vor allem der Verkauf von Devotionalien, Weinen und Likören mit dem Konterfei des „Duce“.

Mussolini – eine Marke, um Geld zu machen? Predappio ist in Italien kein Einzelfall. 2017 sorgte etwa ein Strandbad im venezianischen Chioggia für großes Aufsehen. Dort waren faschistische Symbole zu sehen und der Strandbadbesitzer hielt regelmäßig einschlägige Kundgebungen ab.

Italiens unbekümmerter Umgang mit der faschistischen Vergangenheit

In Rom finden sich noch heute Denkmäler des Faschismus. Hinweistafeln gibt es hier keine.

Überhaupt erscheint der Umgang in Italien mit dem „Ventennio“, der 20-jährigen Herrschaft Mussolinis, unbekümmert. Und nicht nur seitens der Nostalgiker: Silvio Berlusconi sagte zum Beispiel 2003 in einem Interview mit der britischen Wochenzeitung The Spectator, der Faschismus sei eine „gütige“ Diktatur gewesen, die ihre Gegner in „Ferienorte“ ins Exil geschickt habe.

Natürlich gibt es auch in Italien immer wieder Antifa-Demos. Doch mittlerweile sind die Versammlungen in Predappio, der verbotene römische Gruß (Vorbild des Hitlergrußes), das Strandbad in Chioggia oder das alljährliche Gedenken der gefallenen Kameraden am 1. November auf dem Mailänder Friedhof so etwas wie Folklore geworden. Die Medien stürzen sich darauf, der Großteil der Italiener scheint davon unbekümmert.

Banalisierung links wie rechts

„Ein Teil der Italiener hat schon immer den Faschismus relativiert“, meint der Mailänder Politikwissenschaftler Damiano Palano. „Nicht zwingend wegen der Ideologie, sondern vielmehr als Reaktion auf die harsche Kritik der Antifaschisten.“

Vor dem Korruptionsskandal Tangentopoli, der Anfang der 90er-Jahre das alte Parteiensystem wegfegte, wählten viele von ihnen die Christdemokratische Partei. Als der Medientycoon Silvio Berlusconi in die politische Arena trat, wurde seine Forza Italia ihre politische Heimat.

Während Berlusconis Regentschaft – zwischen 1994 und 2011 war er vier Mal Premier – wurden die Begriffe Kommunismus und Faschismus zu rhetorischen Worthülsen. Das Mitte-Links-Lager wies immer wieder auf die Gefahr eines faschistischen Abdriftens hin, Berlusconi erzählte dagegen von kommunistischen Chinesen, die Kinder fressen. Der Machtkampf degradierte zu einer Form der Unterhaltung.

„Die Banalisierung auf beiden Seiten verhindert bis heute eine ernsthafte Debatte über die jüngste Geschichte Italiens“, hebt Palano hervor.

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