Von Katar bestochen? Vize-Präsidentin des EU-Parlaments festgenommen
Ermittlungen zu Korruption, Geldwäsche und versuchter Einflussnahme eines Golfstaats erschüttern das Europaparlament. Nach Angaben der belgischen Staatsanwaltschaft gab es am Freitag 16 Durchsuchungen. Fünf Personen wurden festgenommen, darunter auch die Vizepräsidentin des Parlaments, Eva Kaili. Sie wurde aus ihrer griechischen Partei - der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) - ausgeschlossen, die Fraktion im EU-Parlament setzte Kailis Mitgliedschaft aus.
Bei den Ermittlungen gehe es um eine mutmaßliche kriminelle Organisation sowie Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche, teilte die Behörde mit. Welcher Golfstaat mutmaßlich Einfluss auf das Parlament auszuüben versucht, teilte die Staatsanwaltschaft nicht mit. Die belgische Polizei habe seit mehreren Monaten den Verdacht, dass ein Golfstaat versuche, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Einer Recherche der Zeitung Le Soir und des Magazins Knack zufolge handelt es sich um das Emirat Katar. Beträchtliche Geldsummen oder Sachgeschenke seien vermutlich an Personen im Parlament verteilt worden, die eine politische oder strategische Position innehätten.
14 Vizepräsidenten
hat das EU-Parlament – gemeinsam mit fünf Quästoren und dem Präsidenten bilden sie das Präsidium, das laut EU „die Regeln für das reibungslose Funktionieren des Parlaments festlegt“. Österreich stellt mit Othmar Karas (EVP) und Evelyn Regner (S&D) zwei Vizepräsidenten.
12.804 Euro
verdient ein Vizepräsident des EU-Parlaments im Monat, sofern er an der Hälfte der Sitzungen anwesend war
Parlamentarische Angestellte betroffen
Bei den Durchsuchungen wurden unter anderem 600.000 Euro Bargeld sowie Handys beschlagnahmt. Unter den Befragten ist laut der Staatsanwaltschaft auch ein ehemaliger EU-Abgeordneter. Den gemeinsamen Recherchen von Le Soir und Knack zufolge handelt es sich bei einem beschuldigten Ex-Europaabgeordneten um den italienischen Sozialdemokraten Pier Antonio Panzeri, der von 2004 bis 2019 im Parlament saß und heute die Nichtregierungsorganisation (NGO) Fight Impunity leitet, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen wendet. Eine Anfrage von AFP zu den Ermittlungen ließ Fight Impunity zunächst unbeantwortet.
Le Soir und Knack zufolge wurden zudem ein parlamentarischer Mitarbeiter und der Vorsitzende einer weiteren NGO festgenommen - sowie der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), der Italiener Luca Visentini. Der IGB teilte auf seiner Website mit, die Organisation sei "über die in der Presse verbreiteten Informationen informiert", lehne jedoch "zum jetzigen Zeitpunkt" jeglichen Kommentar ab. Visentini hatte noch in dieser Woche in einem am Freitag von AFP veröffentlichten Interview über die Situation der Arbeiter in Katar gesprochen. Er rief insbesondere dazu auf, "weiterhin Druck auf die Behörden und Arbeitgeber auszuüben", um bessere Löhne und mehr Mobilität bei der Arbeit zu erreichen.
Rede vom historischen Wandel
Die Griechin Kaili wiederum hatte am 21. November eine Rede im Europaparlament zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gehalten. Darin bezeichnete sie das Sport-Ereignis als Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Katar habe etwa bei Arbeitsrechten eine Vorreiterrolle gespielt. Sie ist seit 2014 Europaabgeordnete und seit 2022 eine der 14 Vize-Präsidentinnen und -Präsidenten. Von 2004 bis 2007 war sie laut Lebenslauf auf der Parlaments-Homepage Nachrichtensprecherin und Journalistin, später auch noch PR-Beraterin in Griechenland.
Ein Sprecher des Europaparlaments sagte auf Anfrage, zu laufenden Ermittlungen äußere man sich nicht. Man werde jedoch vollständig mit den zuständigen Behörden kooperieren. Ähnlich äußerte sich die sozialdemokratische Fraktion des Parlaments. Die Fraktion habe keine Toleranz für Korruption. Zugleich müssten im Parlament die Arbeit an allen Themen, die die Golfstaaten betreffen, sowie die Plenarabstimmungen dazu ausgesetzt werden.
Der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anti-Korruption des Parlaments, Daniel Freund, zeigte sich von den Ermittlungen geschockt. "Die Vorwürfe müssen lückenlos aufgeklärt werden", sagte der Grünen-Politiker. Geld dürfe bei den Entscheidungen in Europas größtem Parlament keine Rolle spielen. Es drohe ein gewaltiger Vertrauensverlust.
Die deutsche Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer, zeigte sich schockiert. „Das macht mich fassungslos“, sagte die FDP-Politikerin am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist völlig klar, dass das insgesamt negative Auswirkungen auf das Parlament hat.“
Beer sagte der dpa, Kaili habe das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ins Europaparlament erschüttert. „Ich hoffe, dass sie von sich aus Konsequenzen zieht.“ Zunächst solle sie ihren Posten als stellvertretende Präsidentin des Europaparlaments abgeben. Falls die Ermittlungen den Verdacht bestätigen, solle die frühere Journalistin auch als Abgeordnete zurücktreten.
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