Von der Ukraine zurückerobert: Warum die Schlangeninsel so wichtig ist
Nur knapp 600 mal 600 Meter ist sie groß, 17 Hektar verteilt auf maximal 41 Höhenmetern. Die lange Zeit zur Ukraine gehörende Schlangeninsel, die wenige Kilometer vor dem Donaudelta im Schwarzen Meer liegt, beherbergt lediglich eine Handvoll Häuser, einen kleinen Grenzposten und einen 23 Meter hohen Leuchtturm. Und doch ist der kleine Flecken Land seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine schwer umkämpft.
In direkter Umgebung der Insel versenkte die ukrainische Armee das Flaggschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte, die "Moskwa". Drohnen der Ukraine liefern sich hier seit Monaten Gefechte mit den russischen Schiffen und Truppen, von denen die Insel am ersten Kriegstag eingenommen worden war.
Erst vergangene Woche hatten sich russische Truppen wegen anhaltender Verluste von Soldaten und Kriegsgerät von der Schlangeninsel zurückgezogen. Wie das ukrainische Militär am Montag bekanntgab, steht dort inzwischen wieder die ukrainische Flagge - herabgelassen per Helikopter. Bis sie wieder weht, muss sie erst von nachrückenden Soldaten gehisst werden.
Ein Blick auf eine winzige Insel mit großer Bedeutung.
In der Antike war die Schlangeninsel, von den Griechen schlicht Leuke, "die Weiße", genannt, bereits von großer religiöser Bedeutung. Hier soll der Volksheld Achilles der Sage nach vom Meeresgott Poseidon bestattet worden sein. Erst unter osmanischer Herrschaft erhielt die Insel ihren heutigen Namen, weil dort dem Vernehmen nach viele Schlangen zu finden gewesen sein sollen.
Aufgrund ihrer strategisch wertvollen Lage im Donaudelta wurde die Schlangeninsel im Verlauf der Geschichte regelmäßig von unterschiedlichen regionalen Mächten besetzt. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts stand sie etwa unter türkischer, russischer, rumänischer, deutscher und sowjetischer Kontrolle, bevor sie nach Zerfall der Sowjetunion Teil des ukrainischen Staatsgebiets wurde.
Schon seit Jahrzehnten war Zivilisten kein Zugang zur Schlangeninsel mehr gestattet - militärisches Sperrgebiet. Auch, wenn das karge Gestein mit seinen Klippen wohl wenig Anlass für einen Besuch geboten hätte. Doch die Insel gilt als ein strategisch wichtiger Posten zur Überwachung der Seewege im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres. Von hier aus ließ sich ein eventueller Angriff über das Meer frühzeitig erkennen und gut abfangen, so die Devise der Militärs.
"Russisches Kriegsschiff, f*** dich!"
Doch als am 24. Februar die russische Armee mit ihrer Invasion in der Ukraine begann, hielt die Schlangeninsel nur wenige Stunden stand. Zwei russische Kriegsschiffe, die Korvette "Wassili Bikow" und das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, die "Moskwa" liefen die Insel an und riefen die ukrainischen Soldaten vor Ort auf, sich zu ergeben.
Zu großem Ruhm brachte es der Ukrainer Roman Gribow, der mit dem Funkspruch antwortete: "Russisches Kriegsschiff, f*** dich!" Die ukrainische Armee veröffentlichte noch am selben Tag in den sozialen Medien ein Video vom Funkverkehr zwischen Gribow und der Besatzung der "Moskwa", im In- und Ausland wurden der Mut und der fehlende Respekt des Soldaten angesichts der großen Gefahr zum Symbol für den Widerstand der Ukraine gegen die übermächtigen Angreifer.
Zunächst war sogar der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij davon ausgegangen, dass Gribow, genau wie die anderen 12 stationierten Ukrainer auf der Schlangeninsel, bei der Eroberung durch russische Truppen getötet worden wären. Doch vier Tage später stellte die russische Armee klar, sie hätte insgesamt 82 Soldaten in und um die Insel gefangen genommen.
Nur ein Monat später kamen sie alle im Zuge des ersten Gefangenenaustauschs zwischen der Ukraine und Russland frei - darunter auch Gribow, der anschließend am 29. März für seinen zur Schau gestellten Mut von der ukrainischen Armee ausgezeichnet wurde.
Gribows derbes Zitat erlangte früh Kultstatus und wurde so oft zitiert, dass die ukrianische Post am 12. April sogar zwei Sonderbriefmarken veröffentlichte, auf denen ein ukrainischer Soldat zu sehen ist, der einem russischen Kriegsschiff den Mittelfinger zeigt. Die eine Million Exemplare waren nur drei Tage später in Kiew ausverkauft, anschließend beschoss die russische Armee sogar die Briefmarkenfabrik, ein weiterer Druck war damit zumindest in der Hauptstadt nicht mehr möglich.
Russisches Flaggschiff versenkt
Nur einen Tag nach der Veröffentlichung der Briefmarke gab die ukrainische Armee bekannt, das russische Flaggschiff "Moskwa", das bereits seit 1979 in Betrieb war, mithilfe von Anti-Schiffs-Raketen und einer Militärdrohne vom Typ Bayraktar unweit der Schlangeninsel versenkt zu haben. Aus Russland hieß es dagegen, das Schiff habe infolge einer Munitionsexplosion Feuer gefangen und sei dann beim Versuch, es abzuschleppen, gesunken.
Die Versenkung der "Moskwa" gilt bis heute als großer symbolischer Erfolg für die ukrainische Armee. Die Regierung in Kiew bezeichnete ihr Wrack bereits Tage später zynisch als "nationales Unterwasserdenkmal".
Um die Schlangeninsel wurde auch noch in den Monaten danach gekämpft, meist griff die Ukraine dabei russische Kriegsschiffe mithilfe von Raketen und Drohnen an. Dabei wurde die Überlegenheit der türkischen Bayraktar-Drohnen der ukrainischen Armee besonders deutlich, die in regelmäßigen Abständen Schiffe und Patrouillenboote versenken konnten.
Russland zieht sich zurück
Seit Kriegsbeginn war die Schlangeninsel von der russischen Armee besetzt, in den vergangenen fünf Monaten gelang es den Russen trotzdem nicht, dort wie geplant Raketensysteme zu installieren. Nach Monaten voller Gefechte wurde am vergangenen Donnerstag schließlich bekannt, dass Russland seine auf der Insel stationierten Soldaten abziehen würde.
Offiziell soll der Rückzug ein "Zeichen des guten Willens" gegenüber den Vereinten Nationen gewesen sein, da Russland somit den Weg für Getreidelieferungen aus der Ukraine über das Schwarze Meer freimachen würde. In Kiew präsentierte man die Entwicklung dagegen als militärischen Erfolg, der Chef des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, schrieb auf Twitter: "KABOOM! Keine russischen Truppen mehr auf der Schlangeninsel."
Doch schon am Freitag beschuldigte die Ukraine die russische Armee, die Insel nach ihrem Abzug mit Phosphorbomben beworfen zu haben, deren Verwendung völkerrechtlich geächtet ist. Inzwischen jedoch steht die ukrainische Flagge wieder auf der Insel, abgeworfen von einem Armee-Helikopter. Vom ukrainischen Verteidigungsministerium hieß es: "Das Gebiet wurde der Hoheit der Ukraine zurückgegeben."
Dass damit endlich Ruhe auf dem historisch umkämpften Felsen einkehrt, ist allerdings unwahrscheinlich.
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