Bis er vergangenen Sonntag das Büro der libyschen Wahlkommission betrat und seine Kandidatur bekannt gab. In eine lange, braune Robe gewandet, mit Turban und Graubart, unterschied sich Gaddafi eklatant von dem Bild, das er noch 2002 im Frack am Wiener Opernball an der Seite seines engen Freundes Jörg Haider abgegeben hatte. Der heute 49-Jährige galt damals als westliches Gesicht des Gaddafi-Clans, inszenierte sich als Kunstliebhaber. Von Vater Muammar al- Gaddafi finanziert, erlangte er an der London School of Economics die Doktorwürde – freilich mit tatkräftiger Unterstützung einer Beraterfirma, die ihm bei seiner Abschlussarbeit zur Hand ging.
In Wien mietete sich der Diktatorenspross in einer Döblinger Villa ein, die er gemeinsam mit zwei weißen Tigern bewohnte – und wo er rauschende Feste veranstaltete. Eines endete 2007 für eine junge Ukrainerin fast tödlich. Die 22-Jährige dürfte gegen 5.30 Uhr versucht haben, über einen Baum in das Schlafzimmer Saif al-Islams zu gelangen, stürzte und verletzte sich lebensgefährlich. Für die Polizei stand offiziell rasch fest: Es war ein Unfall. Das Opfer selbst sagte später, es könne sich an nichts mehr erinnern. Saif al-Islam selbst wurde zu der Causa nie befragt.
Europäische Politiker begegneten ihm jedenfalls durchaus wohlwollend. Er galt – und inszenierte – sich als gemäßigt, vor allem im Kontrast zu seinen Brüdern Mutasim und Hannibal schien Saif al-Islam das weiße Schaf der Familie zu sein. Über die „Gaddafi-Stiftung für Entwicklung“, verhandelte er Befreiungen von Entführten, entschädigte Opfer des von libyschen Geheimdienstleuten verursachten Lockerbie-Anschlags. Neben dem tatsächlich existierenden „Gaddafi Preis für Menschenrechte“ sollte Saif al-Islam das moderate Aushängeschild Libyens werden. Dann kam der „Arabische Frühling“ und mit ihm die Wandlung des Diktatorensohnes.
„In 48 Stunden ist alles vorbei“, tönte er in einer Ansprache, sprach von einer „Säuberung“ Libyens und von „Flüssen aus Blut“. Sehr bald sollte aus der zur Schau gestellten Entschlossenheit das Angebot einer neuen Verfassung und weitere Zugeständnisse werden, ehe Saif al-Islam versuchte, außer Landes zu gelangen. Mit bekanntem Ausgang und dem Verlust dreier Finger.
2015 verurteilte ihn die Miliz „Libysche Morgenröte“ zum Tode, verlangte seine Auslieferung – doch die Zintan-Brigade weigerte sich. Währenddessen rangen in Libyen andere Kräfte um die Macht: Die „Einheitsregierung“ in Tripolis gegen General Khalifa Haftar, dessen Großoffensive auf die Hauptstadt vor eineinhalb Jahren fehlschlug. Nun will auch er bei den Präsidentschaftswahlen antreten – und gilt neben Saif al-Islam als aussichtsreicher Kandidat auf die Stichwahl.
Tritt dieser Fall ein, stehen sich im Umkreis beider Anhänger unversöhnliche Feinde gegenüber. „Es gibt die Möglichkeit, dass Saif al-Islam in eine allfällige Stichwahl kommt, allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er dann gewinnt. Dafür ist der Unmut vor allem in vielen Küstenstädten zu groß“, sagt der renommierte Libyen-Experte Wolfgang Pusztai zum KURIER.
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