Nur ein Drittel blickt optimistisch in die Zukunft
Eine von der unabhängigen NGO „Canton Public Opinion“ im südlichen Guangzhou durchgeführte Umfrage zeigte erstmals eine breite Unzufriedenheit in 20 der 26 abgefragten wirtschaftlichen Themenbereiche auf. Nur ein Drittel der Befragten blickt optimistisch in die Zukunft. Ein Ergebnis, das schon nach wenigen Stunden nicht mehr online auffindbar war.
Wie angespannt die Stimmung rund um den Volkskongress ist, fing ein Video eines niederländischen Journalisten ein. Der wollte in der chinesischen Großstadt Chengdu einen Protest von Unternehmern filmen, die in die strauchelnde Bank Sichuan Trust investiert hatten - und wurde von Zivilpolizisten vorübergehend festgenommen:
Keine Pressekonferenz des Ministerpräsidenten mehr
Mit Spannung wurde daher am Dienstag die Eröffnungsrede des Ministerpräsidenten Li Qiang erwartet. Schließlich ist die Nummer zwei im Staat auf dem Papier verantwortlich für die chinesische Wirtschaftspolitik. Der Druck auf Li ist also enorm, zumal der 64-Jährige erst seit einem Jahr im Amt ist und den Volkskongress somit erstmals eröffnete.
Der Premier setzte auf Beständigkeit: Das Ziel für das Wirtschaftswachstum bleibt dasselbe wie im Vorjahr, „rund fünf Prozent“, obwohl Ökonomen das angesichts der Probleme in diesem Jahr für äußerst ambitioniert halten. Auch das Militärbudget steigt in derselben Größenordnung wie im Vorjahr: plus 7,2 Prozent. Konkret heißt das: Der staatliche Fokus auf Sicherheit und Kontrolle wird fortgeführt – aller wirtschaftlichen Stagnation zum Trotz.
Politisch brisanter war, was Li nicht sagte – beziehungsweise sagen wird: Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren wird der Premier am Ende des Volkskongresses nicht mit Journalisten sprechen. Das ist nicht weniger als ein Bruch mit den politischen Traditionen des Landes.
Li Qiang gilt als schwächster Premier seit Jahrzehnten
Das Amt des Ministerpräsidenten hatte sich in China über Jahrzehnte als besonnenes Gegengewicht zum Präsidenten etabliert und wurde meist aus einem anderen Parteiflügel besetzt. Die Pressekonferenz am Ende des Volkskongresses nutzten Lis Vorgänger daher gerne, um die Ansichten ihres Parteiflügels zum Besten zu geben.
Doch Li gilt als schwächster Premier seit Jahrzehnten: Sein Aufstieg ist die Folge seiner Treue zu Staatschef Xi Jinping, für den er schon vor zwanzig Jahren auf Provinzebene arbeitete. Als Parteisekretär der Provinz Shanghai setzte Li vor zwei Jahren trotz eines drohenden Zusammenbruchs der Versorgung einen rigorosen Lockdown um – und wurde belohnt. Als sich Xi im Oktober 2022 eine historische dritte Amtszeit sicherte, ernannte er seinen Getreuen Li zum Premier.
Dass der nun die Pressekonferenz absagt, ist ein Symbol an das Volk: Auch die Wirtschaftspolitik ist in Xi Jinpings China inzwischen Chefsache. Rund um den durchorchestrierten Volkskongress erhalten Kleinigkeiten eine große Bedeutung. Dass der 70-jährige Xi seit dem Beginn seiner dritten Amtszeit stets als Einziger von Tausenden im Saal nicht eine, sondern zwei Teetassen serviert bekommt, ist somit ein Zeichen seiner Macht.
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