Die flammenden Berge, eine Felsformation in der Wüste der Uiguren-Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas, wurden ihrem Namen am Dienstag gerecht. Mit höllischen 52,2 Grad Celsius maß die nationale Wetterbehörde CMA dort die bisher heißeste Temperatur der chinesischen Geschichte. Der Bevölkerung wurde empfohlen, ihre Häuser nicht zu verlassen.
Einen passenderen Zeitpunkt für diesen traurigen Rekord hätte es aus Sicht des US-Sonderbeauftragten für Klimaschutz, Ex-Außenminister John Kerry, nicht geben können. Der 79-Jährige befindet sich aktuell auf einem dreitägigen, hochrangigen Staatsbesuch in in Peking und traf am Dienstag auf den neuen Premierminister Li Qiang sowie Chefdiplomat Wang Yi.
Das Treffen zwischen Kerry und Li markierte den Neubeginn der US-chinesischen Klimagespräche, die im August 2022 wegen der Taiwan-Reise Nancy Pelosis, Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, von chinesischer Seite abgesagt worden waren. Es gilt als weiteres Signal der Annäherung zwischen beiden Supermächten: Nach Außenminister Anthony Blinken und Finanzministerin Janet Yellen ist es bereits der dritte Empfang eines US-Regierungsmitglieds in Peking innerhalb eines Monats.
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Der Klimaschutz gilt dabei als ein Thema, bei dem für beide Seiten eine bedingungslose Zusammenarbeit möglich scheint. China und die Vereinigten Staaten sind schließlich die beiden mit Abstand größten Klimasünder-Nationen der Erde. Doch gerade die auf Kohle basierende chinesische Energie-Infrastruktur, die Unmengen CO2 freisetzt, steckt in einem Teufelskreis fest.
In diesem Artikel lesen Sie:
- Warum China immer mehr Kohle verbrennt, je heißer es wird
- Worin China dem Westen beim Klimaschutz trotzdem weit voraus ist
- Warum die Produktion von Erneuerbaren und E-Autos unter der Hitze leidet
- Ob die Rivalen China und USA beim Klimaschutz wirklich zusammenarbeiten können
Kerry zu globaler Hitzewelle: "Wir beide wissen, dass sich gerade etwas verändert"
Am Dienstag wurden in der chinesischen Hauptstadt bereits zum 27. Mal mehr als 35 Grad Celsius gemessen - so oft wie in keinem anderen Jahr zuvor, und es ist erst Mitte Juli. Gleichzeitig verzeichnet auch der Südwesten der Vereinigten Staaten Tag für Tag neue Hitzerekorde und im nördlichen Nachbarland Kanada toben Waldbrände.
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"Sie und ich, wir beide wissen, dass sich gerade etwas verändert", meinte Kerry also vielsagend zu Beginn des Treffens mit Premierminister Li. Er hoffe deshalb, dass die Regierung in Peking ihren geplanten Ausbau von Kohlekraftwerken überdenken werde.
Dekoration steht beispielhaft für Chinas Energiepolitik
Das Setting stand sinnbildlich für Chinas Zweigleisigkeit: Kerrys Termin mit Chinas Premier Li Qiang fand vor einem gewaltigen Naturgemälde statt, das vorangegangene Treffen mit Chinas Chefdiplomat Wang Yi wurde von einem übergroßen Foto der Shanghaier Skyline dominiert.
Solche Forderungen aus dem Westen werden in China meist als Provokation wahrgenommen. Denn die Regierung in der Volksrepublik nimmt sich mit Blick auf den Klimaschutz Zeit heraus - und ist der Meinung, dass ihr im Vergleich zum Westen noch einige Jahre an Entwicklung auf Grundlage fossiler Energieträger zustehen sollte.
Ist China noch ein Entwicklungsland oder nicht?
Zum einen liegt die Volksrepublik im absoluten Vergleich des Co2-Ausstoßes zwar deutlich vor den USA, im Pro-Kopf-Vergleich liegen die Amerikaner aber vorne. Außerdem erzeugt China mit großem Abstand die meiste erneuerbare Energie weltweit, der Umstieg ist also schon im vollem Gange - so die Argumentation Pekings.
Weil man aber eben noch ein Entwicklungsland sei, müsse man vorerst noch auf fossile Energie, vor allem Kohle, setzen, um der chinesischen Bevölkerung Wohlstand zu ermöglichen. Der Westen, allen voran die USA, hatten dagegen aus chinesischer Sicht viel mehr Zeit, als entwickelte Industrienation ihre Energie-Infrastruktur umzustellen - und hätten es nicht getan.
Sowohl bei der Produktion von Wind- und Wasserkraft, als auch bei Solarenergie führt das Reich der Mitte. Nur, um das Ausmaß zu veranschaulichen: Im Vorjahr lagen die USA mit knapp 123 Gigawattstunden auf Platz zwei der Länder mit der höchsten produzierten Photovoltaikleistung, im Vergleich zum chinesischen Ertrag ist das aber gerade einmal mehr als ein Drittel (308 GWh).
Mittelfristig sollen die Erneuerbaren im Reich der Mitte also fossile Energieträger ablösen, doch gerade in den dicht besiedelten Stadtgebieten reicht selbst diese Menge an "sauberem" Strom nicht aus, um Spitzen im Bedarf zu decken. Auch, wenn Kohlekraftwerke also laut Regierungsvertretern in Peking "viele Tage im Jahr stillstehen", stellen sie etwa 60 Prozent der erzeugten Energie zur Verfügung.
Je heißer es wird, desto mehr Kohle wird in China verbrannt - und desto heißer wird es
Mit seiner aktuellen Energie-Infrastruktur ist China damit einem Teufelskreis ausgesetzt: Denn je heißer die Temperaturen werden, desto länger laufen die inzwischen in fast jedem Haushalt installierten Klimaanlagen auf Hochtouren. Das heißt: Je heißer es wird, desto größer wird der Bedarf an Strom - und desto mehr Kohle wird in den Kraftwerken verbrannt, um ihn zu decken.
Guangdong, die mit 126 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Provinz des Landes, verbrauchte wegen der Hitze bereits am 11. Juli so viel Strom wie an keinem anderen Tag jemals. Die regionale Energiebehörde prognostizierte, dass im August voraussichtlich noch einmal deutlich mehr benötigt wird.
Die Hitze beeinträchtigt die Produktion von Batterien und Solarpanels - und damit den Klimaschutz
Das hat auch Folgen für die chinesische Wirtschaft: In besonders betroffenen Regionen im Süden des Landes, darunter auch Guangdong, wurden nicht-systemkritische Fabriken gezwungen, ihre Produktion am Nachmittag einzustellen, wenn der Stromverbrauch durch Klimaanlagen besonders hoch ist.
Davon sind ausgerechnet jene Produktionsstätten massiv betroffen, die den Klimaschutz eigentlich vorantreiben sollen: Sowohl die Produktion von Batterien, die für E-Autos benötigt werden, als auch jene von Silikonstoffen, ohne die Solarpanels nicht gebaut werden können, ist aktuell beeinträchtigt. Das betrifft Lieferketten in aller Welt: Rund 80 Prozent der globalen Silikonstoffe kommen aus China, bei Batterien sind es sogar 98 Prozent.
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Die Regierung in Peking sieht sich also aus zweierlei Gründen gezwungen, die im Vergleich extrem günstige Kohle-Infrastruktur weiter auszubauen: Um den steigenden Stromverbrauch der eigenen Bevölkerung decken zu können, und genug Energie übrig zu haben, um gleichzeitig den Ausbau von erneuerbarer Energie im Land voranzutreiben.
Die USA wollen China beim Thema Klimaschutz "unter Druck setzen"
Die US-Regierung fordert vehement ein Ende des chinesischen Energie-Teufelskreises. "Jedes Land, einschließlich China, hat die Verantwortung, seine Emissionen zu senken", sagte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan bereits vor Kerrys Abreise nach Peking. Angesichts der Klimakrise bleibe nicht genug Zeit für Chinas Regierung, um sich "hinter der Behauptung zu verstecken, ein Entwicklungsland zu sein".
Die Welt solle "China ermutigen, sogar unter Druck setzen, weitaus drastischere Maßnahmen zur Senkung Emissionen zu ergreifen", so Sullivan. Das sei auch Kerrys Hauptagenda während seines Besuchs. Man sei sich aber im Klaren, dass es weitere Gespräche brauche, auch auf höchster Ebene: Gerüchten zufolge soll Chinas Präsident Xi Jinping sich für einen Besuch in den USA Anfang November angekündigt haben.
Immerhin: Die beiden mächtigsten Staaten - und größten Klimasünder - der Erde sprechen wieder miteinander.
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