"Supply issues", also "Versorgungsprobleme", lautet die Antwort der Verkäuferin im Fudgies Bakehouse im Strandort Woolacoombe in der südwest-englischen Grafschaft Devon auf die Frage eines Kunden, warum die beliebten Steak-Pasties ausgegangen sind. Als der sich mit einer anderweitig gefüllten Teigtasche zufrieden gibt, dankt sie – sichtlich erleichtert – für sein Verständnis.
"Supply issues" sind für viele Briten in den letzten Wochen Teil des Alltags geworden. Meist ist das der Code für Warenmangel wegen rund 100.000 fehlender Lkw-Fahrer und anderer Arbeitskräfte. Die Gründe: Brexit und Corona.
So klaffen in Supermärkten diverse Lücken.
Hiobsbotschaft
"Bitte haben Sie Geduld mit uns", steht etwa in einer Filiale der Kette Sainsbury’s in Stevenage, nördlich von London, auf Schildern im Regal der Fertiggerichte. Auch beim Obst und Gemüse ist die Auswahl dürftig. Nach Schlagzeilen, dass McDonald’s die Milchshakes und der Fast-Food-Kette Nando’s die Hühner-Flügel ausgegangen sind, kam kürzlich vom Pub-Riesen JD Wetherspoon, dessen Chef ein großer Brexit-Fan ist, die Hiobsbotschaft, dass bestimmte Biermarken Mangelware seien.
Engpässen entkommen Briten aber auch bei Reisen in Ferienregionen wie Devon, die dank des Staycation-Trends in Corona-Zeiten auch im September noch gut besucht sind, nicht: "Sorry, sold out", informieren Aufkleber neben zwei der fünf Meeresfrüchte auf der Tageskarte im Beaver Inn in Appledore schon kurz nach 18 Uhr. "Wir haben derzeit keine Krabben, weil unser Zulieferer wegen der Corona-Pandemie zusperren musste", muss der Kellner ständig enttäuschten Urlaubern mitteilen.
Der britische Unternehmerverband CBI warnt, die Versorgungskrise könnte ohne Regierungshilfe bis zu zwei Jahre anhalten. Er fordert etwa unbürokratische Visa für EU-Arbeitskräfte. Wie zum Trotz ruft Boris Johnsons Regierung hingegen zur Einstellung von Briten auf, droht, Teile des Brexit-Vertrags unilateral außer Kraft zu setzen, und will ungeliebte EU-Regeln abschaffen. "Wir wollen das gesamte beibehaltene EU-Recht, das für das Vereinigte Königreich nicht geeignet ist, ändern, ersetzen oder aufheben", sagte Brexit-Minister David Frost am Donnerstag.
Zurück zum Unzen
So sollen Läden Waren wieder ausschließlich in imperialen Maßen wie Pfunden und Unzen anbieten können, obwohl das Land schon vor dem EU-Beitritt auf das metrische System umgestellt hatte. Für manchen Brexiteer symbolisch wichtig: die 1699 eingeführte "Crown Stamp" auf Pint-Gläsern in Pubs – die Krone als Garantiesiegel, dass man vom Wirten nicht mit einem zu kleinen Bier über den Tisch gezogen wurde – wurde 2007 durch das EU-Zeichen CE ersetzt. Und darf nun bald wiederkehren. Der Telegraph sprach von einem "Brexit-Triumph".
Die oppositionelle Labour Partei kritisierte, die Regierung solle sich besser akuten Brexit-Problemen widmen. So fallen etwa in Devon in der Gastronomie neben Lücken auf Speisekarten auch reduzierte Öffnungszeiten und "help wanted"-Schildern an vielen Pubs und Restaurants auf. Schuld ist der Personalmangel.
Eigenverschulden?
Kirk, Manager in der Depot Eatery im 40 Minuten entfernten Ilfracombe, erzählt, sein Restaurant musste wegen des dezimierten Teams zuerst jeden Mittwoch und jetzt auch jeden Sonntagnachmittag geschlossen bleiben: "Wir finden einfach nicht genug Leute. Viele wollen einfach nicht mehr in der Gastronomie arbeiten".
Mike etwa rief voller Frust sogar eine Radio-Station an, weil sein Fischrestaurant in der Region nach dem Verlust europäischer Mitarbeiter unterbesetzt ist. Weil er aber für Brexit war, bekam er mancherorts wenig Gegenliebe: "Er hat bekommen, wofür er gestimmt hat."
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